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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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ich doch. Ein alter
Freund. Mit so einem Bauch.«
    »Na ja, derart dick ist er nicht.«
    »Schau, wie sie ihn in Schutz
nimmt«, lachte Dina. Aber Felix sorgte sich: »Er hat abgenommen. Wie geht es
seinen Beinen?«
    »Er betreibt Nordic Walking.«
    Dina sagte: »Wunderbar! Kein
Wunder, daß er nicht mehr so dick ist. Hörst du, Felix. Das Bein ist geheilt.
Sogar ein paar Haare sind ihm gewachsen. So ist er — unser Salman!«
    Der Vater wurde stiller. Er
schob den Unterkiefer vor.
    Die Augen wurden schmal. Er
stützte den Oberkörper mit dem Arm ab. Ihm war anzusehen, wie schwer es ihm
fiel, die Schmerzen zu überspielen. Dina hatte ihm eine Suppe mitgebracht, aber
Felix war nicht imstande, einen Löffel zu essen. Noa füllte Wasser in einen
Schnabelbecher, aus dem Vater trinken konnte, ohne sich aufsetzen zu müssen.
Er dankte ihr mit einem Nicken. Er war nun gänzlich verstummt.
    Später kam die Visite, und sie
wurden gebeten, das Zimmer zu verlassen. Sie standen im Gang, und als die Ärzte
fertig waren, trat der Chefarzt auf Dina und Ethan zu. Noa machte einen Schritt
zurück. Sie hole Kaffee für alle.
    Sie wüßten noch immer nicht,
sagte der Mediziner, woran Felix eigentlich leide. Die Niereninsuffizienz sei
es nicht. Hier gehe es wohl um eine lokale Infektion oder einen eingeklemmten
Nerv. In der Nacht habe Felix so laut geschrien, daß andere Patienten davon
aufgewacht seien.
    Als sie wieder ins Zimmer
traten, winkte der Vater Ethan heran. Er setzte sich dicht ans Bett. Felix
raunte: »Sie ist besonders. Wunderschön und klug.«
    »Du kennst doch unseren Sohn.
Sag ihm lieber, dir mißfällt Noa«, mischte sich Dina ein.
    »Laßt mich doch bitte in
Ruhe.«
    »Siehst du? Überall und immer
dagegen. In Paris die Arbeit über Kolonialfilme, in Jerusalem die Studie über
Palästinenser in der Literatur. In Tel Aviv die Vorträge über diese
muslimischen Ruinen. Den Österreichern redet er vom Antisemitismus, und in
Chicago wolltest du unbedingt den Kommunismus einführen. Aber als Vater dich in
die DDR mitnahm, mußtest du ausgerechnet sowjetkritische Literatur einpacken.«
    »Und die Forschungseinladung
nach Tirnovo«, warf Felix ein, »kaum angekommen, referierte er über die Situation
der Roma in Bulgarien.«
    »Hatte ich unrecht?«
    »Ein Besserwisser bist du! Ein
Herr Klug! Mit noch vollen Koffern gibst du schon allen Bescheid.«
    Er war diesen Hohn gewohnt.
Sie hatten ihn darauf getrimmt, ein kleines Genie zu sein, um es ihm
gleichzeitig vorzuwerfen. Als Volksschüler war ihm von der Mutter bereits
ausgerichtet worden: »Du bist ein echtes Wunderkind. Das Wunder wird gehen,
und das Kind wird bleiben.«
    Mitten im Streit stöhnte der
Vater auf. Er müsse sofort auf die Toilette. Er keuchte, kam aber nicht hoch.
Der Schmerz schraubte ihn nieder. Ethan versuchte, ihm zu helfen, aber der
Vater begann zu wimmern, als er ihn anfaßte, weshalb er ihn wieder losließ,
worauf der Vater schrie, warum er denn nachlasse. Als Felix endlich stand,
schnaufte er, als habe er eine Bergtour hinter sich. Bei jedem Schritt ächzte
er, doch am schlimmsten wurde es, als er sich hinsetzen wollte. Er war nicht
imstande, das rechte Bein abzuwinkeln. Er konnte kaum hocken, und als er fertig
war, rief er, er käme nicht mehr hoch. Sie mußten ihn hochstemmen und stützen,
während er sich die Hände wusch.
    Dann der Weg zurück. Während
er sich hinlegte, hechelte er. »Langsam. Ganz langsam! Hörst du? Holt mir Frida.
Ich halte es nicht mehr aus. Eine Infusion! Schnell!«
     
    Er fand Noa vor der
Kaffeemaschine.
    »Hast du es denn nicht
bemerkt? Wie er versucht hat, zu überspielen, wie schlecht es ihm geht ... Wie
er sich vor mir zusammengenommen hat? Begreifst du denn nicht?«
    Gemeinsam gingen sie zurück
ins Krankenzimmer. Schwester Frida war dagewesen. Felix lag unter der Infusionsflasche.
Das Schmerzmittel wirkte. Sein Blick schien gedämpft. Ein wenig glasig. Die
Anspannung war aus dem Gesicht gewichen. Dina stand vor dem Bett und
streichelte ihn. Sie würden jetzt in die Stadt fahren, flüsterte sie ihm zu.
Er lächelte erschöpft.
    »Ja, bitte. Geht nach Hause.
Alle drei. Ich brauche Schlaf. Ihr müßt euch auch ausruhen. Geh, Ethan. Mach
dir keine Sorgen. Bring Dina und Noa nach Hause. Und nimm den Schleier von
deinem Gesicht.« Und dann, als die anderen einander anblickten, winkte er Noa
zu: »Guten Tag, Frau Doktor.«
    »Aber Vater, das ist doch
Noa.«
    Er schaute sie an, als müsse
er durch einen Nebel hindurchblicken.

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