Rabinovici, Doron
erst nach ihrem Abmarsch bei
Felix vorbeizuschauen, das war sein Plan gewesen. Als die anderen das Zimmer
verlassen hatten, waren er und Felix endlich ungestört gewesen, aber nur kurz.
Es blieb keine Zeit, um zu reden. Einige Sekunden nur. Bloß die Begrüßung.
Nach Monaten des Briefwechsels und einem längeren Telefonat stand er endlich
vor jenem Mann, von dem er vermutete, der heimliche Liebhaber seiner Mutter
gewesen und sein Vater zu sein. Felix war distanziert geblieben.
»Sie kannten meine Mutter,
Herr Rosen?«
»Nenn mich Felix.«
»Waren Sie ... Warst du ...
mit meiner Mutter?«
Müde hatte ihn der
Bettlägerige angeschaut. Ermattet. Er lächelte an Rudi vorbei. Ein Glänzen in
den Augen. Ein Kranker am Tropf, aber da war Ethan ins Zimmer gekommen, und
plötzlich hatte Felix überhaupt nicht mehr benebelt gewirkt. Im Gegenteil. Über
einen neuen Nachruf hatten sie bisher gar nicht geredet. Dov Zedek war in
keinem Brief und bei keinem Telefonat ein Thema gewesen. Plötzlich hatte Felix
behauptet, Rudi habe sich zu einem weiteren Artikel verpflichtet. Und wie hätte
er in dieser Situation widersprechen können? Der alte Fuchs hatte ihn übertölpelt,
ehe er vom Schmerz überwältigt wurde.
Jetzt stand Ethan draußen und
telefonierte. Felix war nicht mehr bei Bewußtsein. Die Infusion schien hoch dosiert
gewesen zu sein. Er wimmerte im Schlaf, wisperte zuweilen vor sich hin.
Satzteile, ein Schnaufen, ein Knurren, als spräche ein Tier. Einzelne Wörter
ließen sich erahnen. Hatte er eben Ethan gesagt? Und Dina und Brüder? Rudi
versuchte, sich aus dem Griff dieses Mannes zu winden, aber jedesmal, wenn er
seine Hand aus der von Felix lösen wollte, sachte, ohne ihn zu wecken, spürte
er die Finger stärker nach ihm fassen. Merkwürdigerweise fühlte er sich weniger
eingeengt als gebraucht und aufgehoben in den Krallen des Kranken.
Noch während er gegen die zähe
Kraft des Alten ankämpfte, hörte er Ethan eintreten. »Lassen Sie gefälligst
meinen Vater in Ruhe. Was machen Sie denn da?«
Endlich gelang es Rudi, den
Griff des anderen zu lockern, und im selben Moment öffnete der die Augen.
»Nackte«, sagte Felix. Er
starrte zur Decke, als laufe da oben ein Film ab. »Schau ... Hier ... Schaut
doch. Ein Dschungel. Beine ... Hintern, Arme und Brüste ... Ein Fresko. — Die
treiben es miteinander. Die bumsen. Seht ihr es nicht? Hört ihr nichts? Die
Lustschreie!«
Eine Pflegerin kam ins Zimmer.
Sie schaltete das Licht ein und brachte das Abendessen. Felix sah sie gar
nicht. Sie fragte, ob sie seine Teekanne abräumen könne. Ethan nickte. Als sie
wieder hinausgegangen war, sagte Felix: »Zum Glück hat sie nichts bemerkt.
Dabei ist das ... doch nicht zu übersehen.«
»Da ist nichts, Abba«,
erklärte Ethan.
Aber Felix sah an ihm vorbei
zum Plafond und murmelte: »Was weißt denn du?«
»Es wird alles gut.«
»Du hast ja keine Ahnung.«
»Hab keine Angst. Das ist
nichts Schlimmes.«
»Es ist pervers. Eine Orgie.«
Felix schaute ihn an, sah durch ihn hindurch. »Du meinst, ich sehe, was gar
nicht da ist. Aber du siehst ja nichts. Nichts siehst du. Verstehst du?
Nichts.«
Er schloß die Augen und
wisperte: »Brüder seid ihr. Hörst du? Brüder. Sag der Schwester, du brauchst
eine Infusion. Dann hast du keine Schmerzen mehr, und du wirst alles sehen.«
Draußen war es dunkel
geworden. Die Straßenlaternen gingen an. Felix nickte ein. Er schnarchte. Ethan
ging zur Tür. Rudi folgte ihm hinaus, nachdem er das Licht im Zimmer
ausgeschaltet hatte.
»Er halluziniert«, sagte
Ethan. Zu zweit gingen sie zum Lift. »Verstehen Sie, Klausinger?«
»Nenn mich Rudi.«
Sie warteten auf einen der
Aufzüge. Es klingelte, als einer ankam, aber er war überfüllt. Noch ein Läuten
und wieder ein Fahrstuhl. Auch hier dichtes Gedränge, doch diesmal stiegen sie
ein. In jedem Stockwerk ein Stopp. Im Erdgeschoß eilten sie hinaus und stritten
sich weiter. Ethan blieb beim Sie, Rudi duzte ihn. Der Sabre hielt Distanz,
während der Österreicher auf jede Form verzichtete. Klausinger wechselte ins Hebräische,
das er fließend beherrschte. In Ivrit konnte keiner den anderen siezen, doch
Ethan fügte in seine Sätze ein Herr Klausinger ein.
»Er ist nicht richtig bei
sich, Herr Klausinger.«
»Er ist mein Vater, und wir
sind Brüder, Ethan.«
»Auch eine Überdosis
abbekommen?«
»Ich fand Briefe im Nachlaß
meiner Mutter.«
»So ist das mit Nachlässen.«
»Liebesbriefe.«
»Ödipale Eifersucht?«
»Der Mann
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