Rabinovici, Doron
eine Flasche israelisches
Bier, Goldstar, für Rudi. An einem Nebentisch diskutierte eine Gruppe junger
Leute, einen American Pit Bull zu ihren Füßen. An einem anderen turtelte ein
junges Paar. An einem dritten schwiegen sich drei Männer aus, ließen die Augen
sprechen, blickten Frauen hinterher. In einiger Entfernung spielte ein
Gassengeiger, saß zerlumpt auf der Erde. Einzelne Töne wehten herüber.
Russische Folklore.
Ethan sah die Briefe durch.
Sie können nicht von seinem Vater stammen, sagte er. Der habe eine andere Handschrift.
Der formuliere auch ganz anders, viel klarer, nicht so verspielt wie der hier.
Noa widersprach. »Das ist kein
Geschäftsschreiben, sondern eine Liebeserklärung. Und vor vierzig Jahren wird
Felix romantischer gewesen sein als heute während der Dialyse.«
Rudi nickte. Sein Bruder, sagte
er, ja, er sagte sein Bruder, werde nichts zugeben, solange ihm nicht ein
Foto, am besten ein Film präsentiert würde, in dem zu sehen sei, wie Karin
Klausinger es mit Felix Rosen getrieben hatte, wie seine Mutter daraufhin
schwanger wurde und ihn zur Welt brachte, und nur, wenn sie beide zum Abschluß
auch noch in die Kamera erklären würden, daß Ethan und Rudi Halbbrüder seien,
dann könnte er - vielleicht - die Wahrheit akzeptieren. Doch wahrscheinlicher
wäre, daß er auch dann noch meinte, es handle sich um nachgestellte Szenen. In
Wirklichkeit fühle Ethan jedoch genau, wie unhaltbar seine Position geworden
sei. »Du belügst dich selbst.« Er rief der Kellnerin zu, er wolle ein weiteres
Goldstar.
»Du unterstellst mir eine
Lüge? Ausgerechnet du?« Ob es etwa Zufall sei, daß Rudi sich für denselben Job
beworben, den Nachruf auf Dov verfaßt und dafür auch noch ihn, Ethan, zitiert
habe? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, mit einem Halbbruder um ein und dieselbe
Stelle zu konkurrieren und gleichzeitig mit ihm einen öffentlichen Disput
auszutragen? Und nicht nur das. War Rudi etwa nicht längst mit Felix in Kontakt
gewesen? Es sei ihm doch immer nur um seine Stelle gegangen, nichts anderes
stecke hinter der ganzen Geschichte. Ja, seine, denn sie war doch Ethan auf
den Leib geschneidert worden. Ethan sagte: »Du hast den Nachruf nicht für Dov,
sondern gegen mich geschrieben.«
»Was soll ich getan haben?
Bist du paranoid?«
»Ich bin deine fixe Idee.«
Rudi tat so, als höre er gar
nicht mehr zu. »Mach kein Mysterienspiel daraus. Was ist ungewöhnlich daran,
wenn ich einen Nachruf für einen Wiener Überlebenden schreibe? Ich mache das
immer wieder. Und bist du nicht ein renommierter israelischer Intellektueller?
Wieso nicht dich zitieren? Ist es verboten?«
Noas seidenes Lächeln. »Nein«,
sagte sie, »es ist natürlich erlaubt, die Worte des eigenen Halbbruders zu zitieren,
nicht aber seinen Namen zu nennen. Es ist bloß bezeichnend.«
Ethan schrie: »Du wußtest, wer
ich bin. Diese ganze Inszenierung, die Debatte in der Zeitung, alles eine Lüge.
Von Anfang an. Deshalb glaube ich dir nicht. Du bist nicht mein Bruder. Du bist
nur irgendein Bastard mit Hintergedanken.«
Ja, ein Bastard, feixte Rudi.
Jawohl. Das sei er von Anfang an gewesen. Und nur deshalb akzeptiere ihn Ethan
nicht, das habe er immer gewußt.
»Was denkst du dir eigentlich?
Du kannst ihm doch nicht vorwerfen, ein Bastard zu sein«, fuhr Noa ihn an. Ihre
Stimme war heiser geworden. »Ihr zwei seid einander wert.«
»Ich scheiß auf dein
Verständnis. Ethan trifft zumindest den Punkt. Ich bin ein Bastard. Ein
Mamser. Das hört mit der Kindheit nicht auf, sondern begleitet einen durchs
ganze Leben.« Er rückte mit dem Sessel vom Tisch weg.
Der American Pit Bull, der
unter dem Nebentisch lag, sprang auf, knurrte und bellte ihn an. Rudi schrak
zusammen. Der Besitzer riß an der Leine, um das Tier auf den Boden zu zwingen.
Mit einem scharfen »scheket!« rief er den Rüden zur Ruhe. Ein massiger
nachtschwarzer Hund mit breitem Gebiß. »Platz, Nebbich«, sagte der Mann, worauf
das Monster seufzte und die Schnauze auf die Pfoten bettete.
Ethan sagte: »Wäre es zuviel
verlangt, dem Hund einen Maulkorb anzulegen?«
»Nebbich ist völlig harmlos.«
»Haben wir gesehen! Ich
verstehe nicht, was ein Kampfhund in einem Cafe zu suchen hat.«
»Nebbich ist kein Kampfhund.
Er tut nichts. Ich habe ihn unter Kontrolle. Solange ihr euch nicht auf seine
Pfoten setzt.«
Ein anderer Gast sagte: »Das
ist ein jüdischer Kampfhund. Der gehört ins Kaffeehaus.«
»Jüdisch? Ist er ein
Angstbeißer?« fragte darauf
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