Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
Vom Netzwerk:
manche Rauschmittel sollten dabei helfen. Nun stand er
da, als wäre er, zumindest geistig, noch nicht ganz angekommen.
    Das Zimmer war eine Blumenhandlung.
Alle hatten einen Strauß mitgebracht. Krankenschwester Frida sorgte für Vasen,
und sein Vater lag da, als wäre das Bett ein Thron. Unübersehbar, wie sehr er
litt, aber ebenso, wie sehr er sich bemühte, die Schmerzen zu überspielen. Er
stöhnte bei jeder Bewegung, bewahrte Haltung, wirkte aber sehr steif und blaß
dabei. Der Überfall so vieler Verwandter auf einmal war nicht abgesprochen. Sie
waren unabhängig voneinander in die Klinik gekommen, um ihn vor dem Wochenende
zu sehen. Er schickte sie nicht weg und wollte sich keine Blöße geben, denn
hier war Felix Rosen, der zwar nicht unbedingt gern um sein Leben, aber auf
jeden Fall für sein Leben gern kämpfte.
    In manchen mitteleuropäischen
Ländern, dachte Ethan, hätte eine solche Ansammlung als Invasion gegolten, und
während ihn die Distanziertheit und Unnahbarkeit dort abstießen, litt er hier,
eingezwängt zwischen den anderen der Mischpoche, unter der Beengtheit. Niemand
bemühte sich um Ruhe, seine Familie war ein Rollkommando. Das Gespräch kreiste
um Felix, umging sein Schweigen, schwebte um die Niere, die ihm fehlte. Der
Werftbesitzer Nimrod Karni sagte, er kenne Orte, an denen sich menschliche
Organe kaufen ließen, ohne weiteres, und das koste sicher nicht die Welt.
Genügend Menschen hätten zwar zwei von diesen Teilen, die verhinderten, innerlich
zu ertrinken, aber zu wenig Geld, um sich über Wasser zu halten.
    Einen Moment lang horchten
alle, was Felix dazu sagen würde, doch der atmete nur ein wenig schwerer als
vorhin. Ethan öffnete das Fenster, um frische Luft einzulassen. »Nackte an der
Decke«, wisperte der Kranke plötzlich, »ein Reigen. Verrenkungen. Orgien. Ein
Kamasutra.«
    Niemand wußte mit diesen
Worten etwas anzufangen, doch dann sagte die Tante, sie kenne solche Tempelbilder,
in Indien hätten die Menschen ein anderes Verhältnis zu Leib und Liebe. Der Tod
sei dort nur ein Übergang, der einzelne eine Inkarnation. Und erst die
islamischen Selbstmordattentäter ...
    Vater sehe Traumbilder,
erklärte Ethan. Er habe Visionen.

Die anderen verstummten, aber
Jossef hielt die Stille nicht aus. Die Rabbiner seien jedenfalls zu streng,
wenn es um Transplantationen gehe, worauf seine Frau vorrechnete, jeder tote
Attentäter verschleudere seine zwei Nieren in alle Himmelsrichtungen, von den
Körpern der Opfer ganz zu schweigen.
    Jaffa setzte sich zu Felix und
rückte das Essen näher an ihn heran. Sie reichte ihm die Gabel. Die anderen
schauten zu, doch nach ein paar Bissen schob Felix den Teller weg: »Hier. Da
ist Dov. Hörst du, Ethan? Dov Zedek!«
    »Abba, er ist tot, begraben.«
    Die anderen schauten einander
entsetzt an, aber Felix stemmte sich in die Höhe, als seien seine Schmerzen verschwunden
und stöhnte ins Leere: »Dov? Die Leichen müssen weg, Dov. Auch mein Vater und
deiner. Ich kann nichts dafür. - Schaut doch! Dort an der Tür. Der junge Adolf
Gerechter. Ein Dibbuk!«
    Und obwohl alle im Zimmer
überzeugt waren, daß der Kranke unter einer Halluzination litt, wandten sie
sich um, und erst jetzt bemerkten sie den Fremden, sahen sie Rudi Klausinger,
der näher trat und sagte: »Felix, ich bin es. Rudi.«
    In diesem Moment entspannten
sich die Angstfalten im Gesicht des Kranken. Er lächelte: »Rudi!« Rudi drängte
sich an den anderen vorbei. Jaffa stand auf, um Platz zu machen. Er beugte sich
über Felix und drückte ihm die Hand, doch der zwang ihn zu sich herunter und
küßte ihn auf die Wange. Er streichelte seinen Arm.
    Felix wisperte: »Was hältst du
eigentlich von Nieren aus Indien, mein Sohn? Sollen wir kaufen? Oder abstoßen?
Bevor die Kurse fallen ...«
    Rudi hielt immer noch die Hand
des Alten und schwieg. Die anderen waren verstummt. Irgend jemand wisperte:
»Hat er mein Sohn gesagt?«
    Nimrod, als Reeder
unempfindlich gegen alle Gefühlswogen, brummte: »Hier geht es nicht um Aktien.
Niemand handelt mit Organen. Ich habe bloß von einer Entschädigung gesprochen,
von Schmerzensgeld. Ein Zeichen der Anerkennung für Menschen, die ihre Niere
spenden würden.«
    Felix hielt Rudis Linke wie
die Pfote eines kleinen Hündchens und schnaufte erschöpft.
    Ethan sagte: »Darf ich
vorstellen: Doktor Rudi Klausinger. Aus Wien.«
    Rudi verbeugte sich ein wenig.
Die anderen nickten ihm zu.
    Da hob Felix den Zeigefinger
und sagte leichthin: »Sie sind

Weitere Kostenlose Bücher