Rabinovici, Doron
Er entdeckte ihn bei
einem New Yorker Kollegen, der - sterbenskrank - seine Schätze jahrzehntelang
gehütet hatte, um sie nun in die richtigen Hände zu geben. Ethan dachte sofort
an den alten Freund in Jerusalem, und Dov Zedek versetzte Ethan eine leichte
Ohrfeige und sagte: »Du bringst mich noch zum Weinen, du dummer Bub.«
»Mit Freuds Traumdeutung und dem Altneuland Herzls bin ich nach Palästina
gekommen.« Dov besaß Altneuland auf deutsch, in Hebräisch, aber auch eine Ausgabe aus
dem Jahr 1915 auf jiddisch. Er zeigte auf eine Fassung der Traumdeutung und eine von Altneuland. »Das waren die zwei Bände, die
ich eingepackt hatte. Was meinst du? Welches ist letztlich ein Buch der Träume
geblieben und welches hilft, ein unabhängiger Mensch zu sein?«
Ein anderes Mal fragte Dov:
»Und was, wenn Herzl eines Tages zu Freud gegangen wäre, angeklopft und gesagt
hätte: »>Herr Doktor, ich habe einen Traum?<«
Auf der linken Seite des
Raumes sah Ethan die Werke von Arthur Szyk, die Schriften von Bialik und
Tschernichowski. Alles war unverändert, und ihm war, als komme Dov gleich zur
Tür herein. Aus einem Regalfach zog er eine Zeitung hervor, Die Stimme, das einstige österreichisch-zionistische
Blatt. Die Ausgabe vom 6. Juli 1934 hatte Dov nie weggeworfen. Bialik, so wurde
hier gemeldet, sei eben in Wien verstorben. Ethan blätterte weiter. Vom Mangel
an Zertifikaten nach Palästina war zu lesen. Dann Artikel über die Lage der
Juden in Deutschland, in Polen und in der Sowjetunion. Sein Blick fiel auf eine
Anzeige. »Anspruchsvolle Starkbärtige, Empfindliche, Eilige nehmen nur die
sanft-scharfe Schwing«. Auf einer anderen Seite fand er ein Inserat der
Kurkommission Bad Gastein.
In einer Ecke waren
marxistische Schriften in den verschiedensten Sprachen versammelt. Gleich
daneben standen die Werke von Heine und die Dramen von Büchner. Katharina trat
in die Bibliothek, die Dovs Arbeitszimmer gewesen war. »Ich traute mich noch
nicht herein, seitdem er nicht mehr da ist«, sagte sie. Er wollte sie umarmen,
aber sie hatte das Tablett mit Kaffee und Kuchen, mit Teller und Tassen in den
Händen. Er nahm es ihr ab. Sie setzten sich ins Wohnzimmer.
Sie behauptete, nichts von den
Kassetten zu wissen, die Dov für ihn besprochen hatte. Aber er glaubte ihr
nicht ganz. »Auf dem Band sagt er, du seist nebenan, im Schlafzimmer. Er sitze
derweil in der Küche. Er sagt am Ende, du bist aufgewacht. Und du hast nichts
von seinen Aufnahmen gemerkt? Nichts von dem Plan, sie mir zuzusenden? Nach
seinem Tod.«
»Du kennst doch Dov.« Sie
korrigierte sich: »Du kanntest ihn. Er arbeitete vor sich hin. Ich wußte von
vielem nichts.«
Ethan konnte nicht
widersprechen. Solange er lebte, war sie Dov nie ganz nahe gewesen. Als Witwe
blühte sie indes auf. War es denkbar, daß er ihr verheimlicht hatte,
Vorkehrungen für den Tod zu treffen? Schließlich hatte er ihr vieles
verschwiegen. Und treu war er ihr auch nicht gewesen. Selbst als Greis pflegte
er romantische Bekanntschaften; nicht mehr leidenschaftliche Affären, aber
innige Verliebtheiten. Er belog sie nicht. Immerhin wußte sie, wie
unverbindlich er von jeher lebte. Ausschließlichkeit hatte er ihr nie
versprochen. Auch das war nun anders, seitdem sie ihn begraben hatte. Nun war
sie die einzige, die Eigentliche, wenn auch bloß, weil sie ihn spät genug
kennengelernt und ausreichend lange ertragen hatte.
Womöglich wollte Dov sie
einfach nicht mit dem Gedanken an sein Ableben belasten. Die Tonbänder hatte
er hinter ihrem Rücken besprochen. Nachts. Sie hatte geschlafen. So konnte es
gewesen sein. Er richtete sich darauf ein, mit ihr über Felix zu reden und ihr
vielleicht ein wenig von Noa zu erzählen, aber zu seiner Überraschung war sie
es, die von Rudi Klausinger zu sprechen begann. Sie hatte von dem Nachruf in
der Wiener Zeitung gehört. »Was für eine Gemeinheit«, sagte sie. »Dieser
Mensch muß ein Schwein sein. Ein Antisemit. Ein Nazi.«
»Katharina, jetzt übertreibst
du.«
»Mein Lieber, ich weiß, worum
es geht. Ich kenne meine Pappenheimer. Unter meinen eigenen Verwandten sind
solche Typen. Ich bin froh, daß du ihm geantwortet hast. Gut, daß du aufgezeigt
hast, was für ein Rassist er ist.«
»Das habe ich doch gar nicht
geschrieben.«
»Natürlich nicht. Aber alle
haben verstanden.« Sie steckte sich eine Zigarette an und zog scharf daran:
»Egal. Vergiß ihn einfach. Er ist es nicht wert, sich mit ihm abzugeben.«
»Ich traf ihn gestern in
Weitere Kostenlose Bücher