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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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hielten noch
länger vor, aber die Nackten traten in den Hintergrund. Und wenn sie sich
zeigten, kamen sie ihm nicht mehr so nah. Hatten ihre Füße eben noch fast die
Bettdecke berührt, waren sie nun unerreichbar weit weg.
    Schwester Frida nahm seine
Phantasien merkwürdigerweise persönlich. Sie wußte, daß Felix nur der
Medikamente wegen halluzinierte. Und obwohl sie an der Überdosis nicht ganz
unschuldig war, empfand sie die Visionen als Beleidigung. Vielleicht war es
auch ihr schlechtes Gewissen, das sie fürchten ließ, Felix, ihr
Lieblingspatient, sehe in den Pflegerinnen verkleidete Huren und verdächtige
sie, die kleine, fürsorgliche Matrone, heimlich die Puffmutter eines
einschlägigen Etablissements zu sein. Meinte er etwa, sie hätte ihm absichtlich
zuviel vom Schmerzmittel verabreicht? Sie blickte ihn beleidigt an und schwieg
verbissen.
    Der Chefarzt beruhigte Felix:
»Das sind nur harmlose Nebenwirkungen. Andere werden von Zwangsvorstellungen
heimgesucht. Wir können froh sein, daß nichts Schlimmeres passiert ist. Manche
Patienten stürzen nach so einem Mißgeschick in eine Psychose.«
    Dina tat überrascht. »Hätte
ich dir gar nicht zugetraut.« Und dann ein wenig spitzer: »Hast du dabei etwas
Neues dazugelernt?«
     
    Felix wollte nicht mehr im
Krankenhaus bleiben. Er bekam eine Gehhilfe, die er zu Hause kaum verwendete,
weil er zu stolz dafür war. Als er zum ersten Mal wieder auf die Straße wollte,
stürzte er. Dina schrie, ein Nachbar kam gerannt und versuchte, ihm aufzuhelfen,
der Portier des Hochhauses, in dem sie wohnten, wollte den Krankenwagen rufen,
doch Felix wehrte jede Hilfe ab. Langsam stand er wieder auf, schaute sich um
und nickte. Seht her, das ist Felix Rosen, und er steht auf eigenen Beinen.
     
    Sie besuchten die Eltern
täglich und brachten Essen mit. Die ganze Wohnung war vollgeräumt. In der Ecke
stand ein kleines Biedermeiertischchen mit edlen Intarsien, die niemand sah,
weil darauf ein Tuch mit feinster Brüsseler Spitze lag, das wiederum unter
einer in allen Farben schillernden Glasvase, einer flammenden Kreation im
Popstil der Siebziger, verborgen war, aus der ein Blumenstrauß aus knallgelben
Gerbera und weißen Rosen sproß. Die Garderobe war Pariser Art deco, davor
Plastiksessel, daneben ein Bauernschrank. Die Räume ähnelten einem Depot, in
dem verschiedene Sammlungen durcheinandergeraten sein mußten. Hier residierten
die Rosens, hier hatten sie sich nach Jahrzehnten globaler Geschäftigkeit
niedergelassen, eingezwängt in ihre Erinnerungen. An den Wänden hingen Werke
frühzionistischer Künstler neben den Bildern europäischer Maler des neunzehnten
Jahrhunderts.
    Die Fenster waren dicht
verschlossen. Die Hitze blieb ausgesperrt. In jedem Zimmer surrte eine
Klimaanlage. Kältestarre. Sibirischer Frost. Ethan hatte Noa gewarnt. Sie
hatten Jacken mitgebracht, hatten sie durch die Gluthitze geschleppt, um sie
sich nun umzuhängen.
    Bei einem ihrer Besuche sagte
Felix zu Ethan: »Zwischen uns ist alles, wie es war. Du bist schließlich keine
Krämerseele. Er nimmt dir nichts weg. Ginge es ums Geld, ließe sich alles
leicht regeln. Wir könnten Vereinbarungen treffen, die Erbschaft sichern. Ein
Testament aufsetzen. Aber darüber hat er kein Wort verloren. Und du hast auch
noch nie davon geredet. - Merkwürdig eigentlich.«
    Auch die Mutter hatte Rudi ins
Herz geschlossen, so fest, daß es Ethan beim bloßen Anblick den Brustkorb
zusammenschnürte. Rudi wiederum genoß die Überschwenglichkeit der Eltern, vor
der Ethan von jeher geflüchtet war. Rudi fühlte sich geborgen. Angenommen.
    Ethan hätte zufrieden sein
können. Da war einer, der sehnte sich nach dem, womit er verschont werden
wollte.
    Doch er freute sich nicht
darüber. Er fühlte sich unter ständiger Beobachtung. Jede seiner Regungen
wurde, so schien ihm, registriert, und das engte ihn erneut ein. Er begann,
sich selbst zu belauern, und der Gedanke, es werde von ihm verlangt, offen auf
Rudi zuzugehen, machte ihn nur noch verschlossener. »Was stört dich so, Tuschtusch?
Ich bin dein Vater. Ich sehe es dir an. Der Ehebruch ist es doch nicht, oder?
Hätte ich zu Tante Rachel, zu Onkel Jossef und Jaffa etwa sagen sollen, meine
lieben Anverwandten, das da, dieser fremde Gast hier, ist der späte Auswuchs
eines meiner verirrten Samenergüsse und einer wild gewordenen Eizelle? Nu, Ethan,
wäre dir das lieber gewesen? Hätte dir doch auch nicht gefallen. Ich kenne
dich.«
    Dina war froh, Felix wieder
bei sich

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