Rabinovici, Doron
lief über der Brust zu einem langgezogenen
Spitz zusammen und endete unter dem Gürtel in einem Zipfel Haarsträhnen. Der
Rabbiner hatte auf diesem Cafe im Krankenhaus bestanden. An der Wand ein
Zertifikat, das mit rabbinischer Unterschrift bescheinigte, hier würden
ausschließlich streng koschere Speisen und Getränke serviert. Er griff zur Tasse,
schlürfte den Milchschaum. »Herr Professor Rosen, glauben Sie an die
Bestimmung? War es Zufall, als Sie damals im Flugzeug neben dem frommen Juden
zu sitzen kamen? Zufall, daß ich von Ihnen hörte?« Ethan sah sich einem
Obskuranten gegenüber. Das unverdrossene Lächeln. Die Gewißheit, mit der er
sprach. Das war kein Glaube, der den Zweifel überwunden hatte, sondern ein
Eifer, der erst gar keinen zuließ. Dieser Mensch schien unberührt vom Alltag um
ihn herum und tat, als wäre er ganz im reinen mit sich selbst. Dabei konnte er
nicht einmal seinen taubengrauen Seidenkaftan sauberhalten, den er gerade mit
Kaffee bekleckerte. Aber diese Nachlässigkeit gegenüber Äußerlichkeiten schien
geradezu kultiviert, als wäre es kein Zeichen von Schlampigkeit, sondern ein
Merkmal besonderen Geistes. Und gerade weil Rabbi Berkowitsch keinerlei Wert
auf sein Aussehen legte, überzeugte er viele Menschen davon, nur auf
Wesentliches, auf Transzendentes konzentriert zu sein. Er galt unter vielen
Frommen als eine Leuchte rabbinischer Weisheit, vor allem deshalb, weil das
meiste, was er von sich gab, unverständlich klang. Überdies war er ein wahrer
Kenner der talmudischen Schriften. Ein Gelehrter, darüber herrschte Einigkeit.
Der Rabbiner sagte: »Der
Zufall ist nur das Fällige, das uns zufällt. Die Schrift ist da, wir sind es,
die sie entziffern müssen, und es steht geschrieben, einer wird kommen und wird
erfüllen, was verkündet wurde.« Rabbi Berkowitsch hatte zunächst Ivrit
gesprochen, doch nun rezitierte er im altertümlichen Hebräisch die Sprüche,
die vom Volke kündeten, das im Dunkel lebe, dann aber ein Licht sehen werde,
das über jene, die in der Finsternis wohnten, hell leuchten solle. Und lapidar
fuhr er fort: »Hören Sie? Genau festgehalten ist, was zu geschehen hat. Es ist
verbucht, er wird auf dem Throne Davids sitzen, und seine Herrschaft wird
Frieden bringen.« Wieder sagte er die heiligen Verse auf, erzählte vom Wolf,
der beim Lamm wohnen, vom Panther, der beim Böcklein liegen werde, während Kalb
und Löwe, von einem kleinen Knaben behütet, zusammen weiden. Die Kuh werde bei
der Bärin liegen, der Löwe mit dem Rind gemeinsam Stroh fressen und der
Säugling vor der Höhle der Schlange spielen, und als der Alte zur Strophe über
das Kind gekommen war, das seine Hand in das Loch der Natter stecke, war Ethan
vom Enthusiasmus dieses Religiösen angesteckt, obwohl er kein einziges Wort
glaubte, das der von sich gab.
Es sei von Beginn an so
bestimmt gewesen, einander zu treffen. Er, Rabbi Jeschajahu Berkowitsch, sei
auserwählt gewesen, ihn aufzustöbern, so wie Ethan nun berufen sei,
mitzuhelfen, damit der Eine, der Gesalbte, endlich erscheinen könne.
»Von welchem Auserwählten
reden Sie jetzt eigentlich? Vom Messias, von mir oder von sich?«
»Lachen Sie nicht, Herr
Professor Rosen.«
»Ich lache nicht. Ich kann es
bloß nicht glauben.«
»Darum geht es nicht.«
Ethan horchte auf. Seit wann
kam es für diese Geistlichen nicht darauf an, Gott zu ehren. »Ich will Ihnen
ja nicht zu nahe treten, Rabbi, aber ...«
»Keine Angst. Sie können mir
nicht zu nahe treten.«
»Ich bezweifle, daß es Ihnen
nicht um meine Frömmigkeit und meine Gesetzestreue geht.«
Der Rabbiner nahm wieder einen
Schluck von seinem Kaffee. »Es ist aber so.«
»Bei allem Respekt, Rabbi ...«
Der sah zur Decke. Dann sein
mürrisches Lächeln. »Respekt? Ersparen Sie uns das. Ich weiß, was Sie von mir
halten. Ich kenne Sie in- und auswendig, Professor Rosen. Sie sehen in mir ein
Relikt, ein Fossil aus der Kreidezeit. Ich habe über Sie recherchiert, Ihre
Artikel gelesen. Meinen Sie, ich merke nicht, was in Ihnen vorgeht? Wie Sie
mich anschauen? Ich stinke Ihnen. Der Fromme im Kaftan bringt Sie zum
Schwitzen. So ist es. Wenn ich atme, raubt es Ihnen die Luft. Mein Aufzug engt
Sie ein. Meine Kippa bedrückt Ihr Haupt, und meine Schläfenlocken baumeln
Ihnen vor den Augen. Nein, ich behaupte nicht, daß Sie unter jüdischem
Selbsthaß leiden. - Erstens leidet unter dem Haß der Verhaßte und nicht der
Hassende. Zweitens verachten Sie mich nicht mehr als einen Mönch in
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