Rabinovici, Doron
seiner
wollenen Kutte. Drittens stören Sie unsere dicken Gewänder nicht im kalten
Norden, sondern bloß in Eretz Israel. Ihre Abneigung, Ihre - wenn ich so sagen
darf — Allergie tritt nur in bestimmten Gegenden auf. Viertens weiß ich, daß
Sie jeden Deutschen in die Hölle jagen würden, der es wagte, gegen mich das
Wort zu erheben. Aber wissen Sie was? Ich brauche Ihre Verteidigung nicht, und
Ihren Respekt und Ihre Toleranz können Sie sich auch sonstwohin stecken. - Sie
akzeptieren mich? Soll sein. Sie bestaunen meine Glaubenskraft? Sie bewundern
mein Gedächtnis? Meine Gelehrsamkeit? Kann sein. Das laß ich mir einreden. Aber
Respekt? Von Ihnen? Wem wollen Sie das erzählen? Mir? - Sie denken, es geht mir
um Ihren Glauben? Bin ich ein katholischer Missionar? Ich will nur wissen, was
einer wie Sie macht. Warum er das macht oder nicht, steht auf einem anderen
Blatt. Mich interessiert nicht, weshalb, sondern nur, was. Was sind Sie bereit
zu tun.«
»Was kann ich denn machen,
damit der Messias erscheint? Am Samstag kein Licht einschalten? Am Morgen
Lederriemen umbinden? Auf Schweinefleisch verzichten? Soll ich beten, damit es
schneller geht?« Ethan beugte sich vor. »Bedenken Sie doch, Rav: Sie sollten
Leuten wie mir, die keine Tefillin legen und den Schabbath nicht halten,
dankbar sein. Dankbar! Wegen uns kommt das Ende aller Zeiten nicht. Sie können
weiterhin beten und fasten. Sobald der Messias da ist, hört das ganze Larifari
auf, und zu allem Überfluß werden alle unsere Verwandten von den Toten
auferstehen. Nu, ich frag Sie, Rabbi, wer braucht das? Faßt Ihre Wohnung so
viele Besucher?«
Der Rabbiner lächelte spitz:
»Es wird genug Platz sein für alle. Auch für Juden und Araber in Eretz Israel.
Friede wird herrschen, Herr Professor. Der Mensch wird dem Menschen kein
Unmensch mehr sein. Bald schon.«
Er trank die Tasse leer und
rief die Kellnerin, bestellte eine Cremetorte, sah Ethan tief in die Augen und
flüsterte: »Es gibt Geheimnisse hinter den Buchstaben und zwischen den
Zeilen.«
Ethan kannte die Zahlenspiele
der Mystiker und ihre kabbalistischen Taschenspielertricks zur Genüge. Er hörte
dem Frommen gerne zu, wie er auch einem afrikanischen Wunderheiler, einem
Tiroler Wünschelrutengänger oder einem walisischen Spiritisten gelauscht hätte.
Ihn konn ten
solche Gestalten begeistern. Sie waren Studienobjekte. An ihre Magie glaubte
er nicht, aber er zweifelte nicht an den unglaublichen Kräften, über die sie
verfügten, diese Meister der Manipulation und Suggestion. Sie waren
Illusionisten.
»Na, Rabbi, wollen Sie mir
erzählen, Sie haben schon errechnet, wann der Messias endlich auf die Welt
kommt?« Ethan schmunzelte und legte den Kopf schief. Das wollte er nun bis
zuletzt auskosten.
Der Rabbiner nahm einen Bissen
von seiner Torte. »Halten Sie sich nicht zurück, Herr Professor. Machen Sie
sich ruhig lustig über mich. Ja, stellen Sie sich vor, ich kann es und konnte
beweisen, daß in den heiligen Büchern verborgen steht, wann er geboren werden
muß. Meine Methode wurde von mehreren Autoritäten anerkannt, bis zum Moment,
da ich erklärte, was ich herausgefunden hatte.«
»Wieso?«
Der Rabbiner äffte ihn nach:
»Wieso?« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt beginnt es Sie zu interessieren, was
ich entdeckte, nicht wahr?« Er wisperte: »Ich werde Ihnen, Professor Rosen, den
Grund verraten. Ich, Jeschajahu Berkowitsch, habe mit Hilfe meines
rabbinisch-talmudischen Wissens entziffert, daß der Meschiach bereits vor
langer Zeit gezeugt worden ist.«
Ethan zuckte mit den
Schultern: »Das behaupten die Christen auch.«
»Das wurde mir von meinen
ehrenwerten Kollegen auch vorgehalten. Und es wurde mir vorgeworfen, ein Ketzer
zu sein, ein Schabtai Zwi, ein Abtrünniger. Aber ich behaupte gar nicht, daß
der eine, der es sein wird, bereits zur Welt kam, denn noch ist der Löwe dem
Lamm kein Freund und der Mensch dem Menschen ein Feind.«
Ethan verzog das Gesicht, als
habe er in faules Obst gebissen. »Er wurde gezeugt, aber nicht geboren? Das
klingt nach metaphysischer Obstipation! Was kann da helfen? Etwa, daß ich
Tefillin lege?«
»Ich weiß nicht, was Sie die
ganze Zeit mit den Tefillin wollen. Darum geht es nicht. Das haben wir
geklärt.« Rabbi Berkowitsch nahm einen weiteren Bissen von der Torte, nicht
ohne einiges von der Sahne auf sein Hemd tropfen zu lassen, und redete weiter:
»Was aber, wenn der Meschiach tatsächlich bereits vor Jahrzehnten gezeugt, doch
nie geboren
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