Rabinovici, Doron
ihn, den
Troubleshooter, jemand rufe, weil ein Problem vorliege, an die Panik, die ihn
damals überwältigt hatte, an den Gestank der Angst. Denn es heiße gar nichts
und alles mögliche, wenn irgendwo von einem Problem geredet werde, und wenn es
zuweilen heiße, no problem, nema problema oder, wie in Israel, ejn beaja, dann
könne man in manchen Ländern davon ausgehen, daß ohnehin bereits alles egal und
verloren sei. Deshalb, obgleich er Rudi bei der Rettung seiner Festplatte noch
viel Glück wünsche, denn das werde er wohl brauchen, müsse er ihn warnen. Er
fixierte Rudi und preßte dabei beinahe unmerklich seine Schenkel zusammen. Er
wolle, sagte der Amerik aner, nichts mehr von einem Problem hören. Nicht auf
diesem Flug.
Rudi hielt sich daran und
schwieg. Er hatte jetzt Zeit, noch einmal über alles nachzudenken, und als sie
in Wien landeten, er an der Grenzkontrolle seinen österreichischen Paß vorwies
und der Beamte ihn mit zünftigem Grant durchnickte, beschloß er, seine Drohung
gegen Ethan wahr zu machen und einen neuen, einen dritten und endgültigen
Nachruf zu schreiben.
Ethan hatte sich nicht
umgeschaut. Er war einfach davongefahren. Kein Blick zurück. Bloß weg. Um
Schadenfreude war es ihm nicht gegangen. Aber er freute sich, Rudi abgehängt
zu haben. Er wollte fort von ihm, wollte mit diesem Möchtegernbruder nicht
mehr im selben Wagen sitzen, der den Vater, nein, der seine beiden Väter - ja,
beide, denn es waren nun einmal zwei — beschimpft hatte. Er wollte dieses
Anhängsel aus Wien loswerden, seit langem schon. Nein, eigentlich von Anfang
an.
Trotzdem hatte er jetzt ein
schlechtes Gewissen. Felix würde im Tonfall des Anklägers fragen, wo er denn Rudi
gelassen habe. Er sah Dina den Kopf schütteln, und Noa würde ihn fixieren,
würde ihn niederstarren, um dann anzumerken, daß er wohl verrückt geworden sei,
ihn fernab einer Busstation oder eines Cafes aus dem Auto zu werfen. Er
versuchte, sich zu beruhigen. Wo waren denn die anderen gewesen? Wieso hatten
sich Felix, Dina oder Noa nicht gekümmert, als Rudi gegangen war? Nein, er
würde ihre Vorwürfe zurückweisen.
Kurz überlegte er,
zurückzufahren, um Rudi doch wieder einzusammeln. Viel später sollte er sich
fragen, was geschehen wäre, wenn er es gemacht hätte. Womöglich wären sie
gemeinsam, im Schweigen, zu Dina und Felix gefahren. Abgekühlt, zumindest
ernüchtert. Vielleicht wäre alles anders gekommen. Sie hätten Felix umarmt, ihn
beruhigt.
Aber er kehrte nicht um. Statt
dessen schaltete er die Klimaanlage ein und tastete nach seinem Handy. Während
er auf der Autobahn am Ayaion entlang in die Stadt fuhr, wählte er trotz der
frühen Stunde die Nummer von Jael Steiner.
»Es sieht schlecht aus.«
»Was soll das heißen? Du warst
doch froh, mich wieder hier zu haben.«
»Niemand zweifelt an deinen
Qualifikationen. Es geht ums Geld. Um den Vertrag.«
»Also keine Erhöhung?«
»Schlimmer noch.«
Je länger er ihr zuhörte, um
so stärker wurde sein Verdacht. Wollten sie ihn dafür bestrafen, daß er
weggegangen war? Er sagte kein Wort. Er gab sich sogar einsichtig. Auf keinen
Fall würde er betteln. Nein. Es gab nur eine adäquate Reaktion. Kälte.
Sarkasmus.
»Schau, Jael, was soll ich
sagen ... Ich kann nicht behaupten, ich wäre enttäuscht. Eher bestätigt.«
»Komm, mach daraus keine
persönliche Geschichte. Unsere Situation ist eng.«
»Ja, du weißt gar nicht, wie
eng.«
Sie neideten ihm seine
Weitläufigkeit. Sie nahmen ihm übel, daß er für seine Rückkehr auch noch eine
Belohnung einforderte. Solange er weg gewesen war, hatten sie ihn mit
Versprechungen gelockt, von der wechselseitigen Verbundenheit, von den
Verpflichtungen füreinander und für das Land geredet.
Jael sagte: »Es tut mir leid.
Glaube mir, es geht nicht gegen dich. Es trifft uns alle.«
»Nirgendwo fühle ich mich
fremder als hier.«
»Wen wundert's, Ethan. Heimat
ist, wo einem fremder zumute ist als an jedem anderen Ort.«
Er möge ihr, bat sie, in den
nächsten Tagen Bescheid geben, wie er sich entschieden habe. Grußlos legte er
auf und gab Gas. Er wollte schnell zu den Eltern, denn mit einemmal war ihm,
als wären sie die einzigen, die ihn nie verraten hatten. Dieser Gedanke und ein
kindliches Bedürfnis nach Zuwendung fraßen sich in ihm fest, vermengten sich
mit seiner Müdigkeit und dem Hunger, den er plötzlich verspürte.
Jetzt tat ihm leid, wie heftig
er mit Felix gestritten, wie erbarmungslos er ihn angegriffen hatte.
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