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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anderrnorts
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Hand den fremden Mund aufklappte, Knöpfe
aufriß, während Dina hinter ihr jammerte: »Felix! Süssinker! Sei stark.« Noa
richtete sich auf und streichelte sanft den Rücken des Mannes. Sie griff zum
Handy und wählte seine Nummer. Ethan meldete sich. »Hallo?«
    Sie schrie: »Dein Vater!«
    Er sagte: »Was denn?«
    Aber sie nur: »Schnell. Der
Krankenwagen ist schon da.«
    Sie rannte zur Tür, um dem
Notarzt und den Sanitätern aufzumachen. Sie schrien auf Felix ein, aber er
antwortete nicht mehr. Sie drückten ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht. Sie
versuchten, seinen Puls zu finden. Sie horchten ihn ab. Noa sah sie einen Defibrillator
anlegen. Sie legten den Körper auf den Rücken, packten eine Kanüle aus, zogen
eine Spritze auf und jagten ihm die Nadel in die Brust. In kurzer Zeit waren
Sofa und Fußboden übersät mit Verpackungsfolien, Schläuchen und
Plastikröhrchen. Dina stand nur da. Sie fuhr sich durch die Haare. Sie biß sich
auf die Lippen. Sie schüttelte den Kopf. Sie schaute Noa an. Die nickte ganz
langsam, als wollte sie sagen: »Das ist es.« Sie blickte, als wollte sie
fragen: »Nicht wahr?« Aber Dina war verstummt.
    Das Gesicht war aufgeschwemmt.
Die Haut wurde fahler. Sein Atem pfiff. Er kämpfte um Luft. Es dauerte endlos,
bis Arzt und Sanitäter die massige Gestalt auf das Rollbett gehoben hatten. Sie
wollten ihn anpacken, aber er verkrampfte. Er wehrte sich gegen ihren Zugriff.
Es war, als sperrten sich die einzelnen Gliedmaßen gegen jede Hilfe. Schwer
machte er sich, und die Sanitäter schleppten ihn wie einen nassen Sack. Ehe sie
die Tür erreichten, kam Ethan herein.
    Er nickte Noa zu und umarmte
Dina. Die Mutter schluchzte laut in seine Schulter. Noa weinte. Er fragte den
Arzt, wohin sie den Vater nun brächten. Der Mediziner nannte das Krankenhaus.
Es war nicht weit. Im Fernsehen sangen immer noch die schwarzweißen Schemen
aus früheren Zeiten. Eine Frau hatte eine jiddische Weise angestimmt. Eine
Ballade von Itzig Manger. Es ging um einen Jungen, der einem von allen Vögeln
verlassenen Baum im Winter Gesellschaft leisten will, doch der Mantel, den die
Mutter ihm aufdrängt, damit er nicht erfriere, macht ihm die Flügel zu schwer.
Allein und einsam steht der Baum am Weg.
    Sie schoben die Liege hinaus
und in den Fahrstuhl. Dina sollte im Rettungswagen mitfahren. Ethan und Noa
riefen den nächsten Aufzug. Sie fuhren ins Untergeschoß und rannten durch die
Garage zum Auto. Ethan raste los. In der Ferne sahen sie die Ambulanz und das
rotierende Blaulicht. Vor der Notaufnahme konnten sie nicht halten. Sie mußten
erst zum Parkhaus.
    Es dauerte, bis Ethan einen
Platz gefunden hatte. Sie rannten zur Station. Dort stand Dina. Allein. Im Neonlicht
wirkte sie noch blasser als sonst. Vater habe keinen Herzschlag mehr. Er sei im
Behandlungszimmer. Er werde wiederbelebt. Alles, was möglich sei, werde
versucht, habe man ihr gesagt.
    Sie warteten.
    Dann wurden sie in einen
anderen Raum gebeten. Der Professor kam auf sie zu. Er schüttelte den Kopf.
Dina schluchzte. Sie faßte sich an die Stirn, sie schlug sich mit der Faust
gegen die Schläfen, immer wieder, und Noa umfing sie, fing sie auf. Beide
Frauen standen da und wurden von einem Schütteln erfaßt. Ethan starrte reglos
in die Luft. Erst als der Arzt, der Felix während der letz ten Monate behandelt hatte,
auf ihn zukam und ihn kurz umarmte, bemerkte er im Spiegel sein eigenes
Gesicht, und da sah er, wie es ihm entgleiste, wie es sich verzerrte im
Schmerz, und er kam nicht umhin zu denken, so also ist das.
     
    10
     
    Schöner tot sein
    ein Baum werden
    Vögel zu Gast haben
    das wär was
    worauf man sich freuen könnte.
    Elfriede Gerstl,
1932 (Wien) bis 2009 (Wien)
     
    Er hatte nicht damit gerechnet.
Nicht, als der Arzt auf Vaters Brust einstach. Nicht, als sie ihn auf der
Rettungsliege aus der Wohnung schoben. Nicht, als sie sagten, sein Herz stehe
still. Felix Rosen, davon war Ethan überzeugt gewesen, würde nicht sterben.
Selbst als der Professor es aussprach, verstand er nicht, was passiert war.
    Sein eigenes und ihm fremdes
Gesicht im Spiegel, als ihn der Arzt umarmte. Dort, hinter Glas, stand ein anderer
und trauerte, während bei ihm die Todesnachricht noch nicht angekommen war.
Oder anders. Er begriff zwar, daß Vater gestorben war, nicht aber, daß er mit
ihm nicht mehr darüber würde reden können. Er verstand, daß Felix nichts mehr
sagen konnte, nicht aber, daß er seinem Abba nie mehr würde widersprechen
können. Im

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