Rache - 01 - Im Herzen die Rache
Es war heftiger als jemals zuvor, wenn er sich verknallt hatte. Sie war so anders als andere Mädchen und sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Sie verfolgte ihn.
»Hey, Singer – lässt du dir die Nägel für Weihnachten machen?« Als Chase sich umdrehte, sah er Andy Barton, Sean Wagner und Nick Troll, einige Seniors aus dem Footballteam, auf sich zukommen. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass der Laden Princess Nails hieß. Super.
»Nein, ihr Arschlöcher. Ich suche bloß … meine Mom«, antwortete er.
»Wow, arbeitet die jetzt hier? Echter Aufstieg!« Andy lachte. Chase nicht.
»Zu dumm, dass du nie vom Bankwärmer zu irgendwas aufgestiegen bist, Barton«, erwiderte er und streckte die Brust ein wenig heraus. Die anderen grinsten. »Ich muss los, wir sehen uns später«, sagte er dann und war auch schon auf dem Weg zu seinem Kombi.
Beim Einsteigen konnte er die Jungs immer noch lachen hören und gerade, als er die Tür zuschlagen wollte, hörte er Sean rufen: »Frohe Weihnachten, Prinzessin!« Er verdrehte die Augen und zeigte ihnen beim Wegfahren den Stinkefinger.
Am nächsten Tag wachte Chase erst ziemlich spät auf und fand eine Nachricht seiner Mutter auf der Küchentheke.
Frohe Weihnachten, mein Schatz! Tut mir leid, dass ich heute arbeiten muss, aber du weißt ja, dass ich keine Überstunden ablehnen kann! Rühr deine Geschenke bis morgen nicht an, wie wir es abgemacht haben, okay? Wir werden eine extra Nach-Weihnachtsfeier veranstalten. XOXO, Mom
PS: Hier ist noch ein bisschen Geld für Essen vom Chinesen.
Chase starrte auf die dreißig Dollar und bekam ein schlechtes Gewissen. Solange er denken konnte, hatte seine Mom zu beschissenen Zeiten gearbeitet und beschissene Jobs gehabt. Er wusste, dass sie das alles für ihn tat – damit er zur Schule gehen und Football spielen konnte, ohne sich einen Kopf darüber machen zu müssen, sich selbst einen Teilzeitjob zu suchen. Aber dreißig Dollar waren viel zu viel für chinesisches Essen – das war, als versuchte sie ihm etwas zu beweisen. Einfach nur traurig.
Der Nachmittag verging unendlich langsam. Auf den drei Kanälen, die man mit dem kleinen Fernseher im Wohnwagen empfangen konnte, kam nichts, und Chase wollte nicht rausgehen und riskieren, am Weihnachtsabend alleine gesehen zu werden. Vom Computer hielt er sich auch fern.
Weil es im Wohnwagen so heiß war, hatte er nur seine Jogginghose an. Er betrachtete seinen nackten Oberkörper eine Weile im Spiegel, um zu prüfen, ob das Workout, das er den ganzen Herbst über gemacht hatte, etwas brachte. Anschließend absolvierte er hundert Liegestütze auf dem Wohnzimmerfußboden, auf dem ein ziemliches Chaos herrschte. Am Ende brauchte er so dringend ein bisschen Unterhaltung, dass er sich mit der Macbeth-Ausgabe aufs Bett warf und mit der Lektüre anfing, die sie über die Weihnachtsferien aufbekommen hatten.
»Wann treffen wir drei uns das nächste Mal?«
Gute Frage, dachte er.
»Bei Regen, Donner, Wetterstrahl?«
Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, klopfte es an der Tür. Chase zuckte ein wenig zusammen und wunderte sich, dass an Weihnachten jemand zu Besuch vorbeikam. Bestimmt war es Mrs Simpson, ihre Nachbarin, die ihn jedes Mal um Hilfe bat, wenn die Zündflamme an ihrem Heizkessel ausging.
»Komme schon!«, rief er und pfefferte Macbeth auf den Boden.
Als er die Tür öffnete, stand da Ty auf den durchhängenden Treppenstufen des Wohnwagens, lächelnd und mit einem dampfenden Styroporbecher in der Hand. Ihr Kleid hatte dieselbe Farbe wie der Schnee, wodurch sich ihr glänzendes Haar blutrot von der Landschaft abhob.
»Frohe Weihnachten«, sagte sie. »Schau mal, ich bringe ein Geschenk mit, wie die Heiligen Drei Könige.« Dabei hielt sie den Becher in die Höhe.
Chase war so verblüfft, dass er sich weder bewegen noch ein Wort sagen konnte. Ty kicherte. »Komm schon, nimm ihn. Es ist heißer Kakao.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich hab auch keine K.-o.-Tropfen reingetan, Ehrenwort.«
»Ähm, hi. Danke, meine ich«, brachte er schließlich hervor. Als er den Becher nahm, berührten sich ihre Finger und ein leichter elektrischer Schlag durchfuhr ihn.
»Kann ich reinkommen?« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern schob sich an ihm vorbei in das winzige Wohnzimmer. Chase wurde ganz anders, wenn er das Wohnwageninnere mit ihren Augen betrachtete: die armseligen Geschenke unter dem kleinen künstlichen Weihnachtsbaum, den schäbigen Linoleumfußboden, das kitschige »Familienfoto« von
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