Rache an Johnny Fry
musst. Nimm sie aber nur, wenn du ausreichend Zeit hast, sämtliche Alternativen in Betracht zu ziehen.
Ich dachte immer noch über das Vergeben nach, als das Telefon klingelte.
»Hallo?«
»Wie lange weißt du es schon?«
»Erinnerst du dich an den Tag, als deine Tür offen stand und du mich fragtest, ob ich da gewesen sei?«
Ich wartete auf ihre Antwort, aber sie sagte nichts.
»Ich bin hereingekommen und habe dich im Wohnzimmer mit ihm gesehen. Du warst auf dem Sofa und… und auf dem Boden.«
»So lange hast du zugesehen?«, fragte sie.
»Erst war ich wie gelähmt, schockiert. Und… und dann, als ich schon wieder draußen war, hörte ich dich aufschreien, und ich dachte, es wäre etwas passiert.«
»Oh nein«, murmelte sie. »Oh nein, verdammt. Warum hast du mir denn nichts gesagt? Warum bist du nicht dazwischen gegangen?«
»Ich konnte nicht denken. Ich bin zu dir hoch, weil ich auf Toilette musste. Du hattest mir gesagt, du wärst in New Jersey. Aber dann sah ich Johnny und dich, und es war nicht meine Wohnung. Aber nicht mal das dachte ich. Ich wollte nur weg. Weg.«
»Als Johnny im Museum aufkreuzte, wusstest du also Bescheid?«
»Ja.«
Sisypha, meine adoptierte Schwester, war wahrscheinlich verrückt. Sie lebte im Schatten unserer Gesellschaft und schuf sich ihre eigenen Gesetze und Verhaltensregeln.
»Es tut mir so leid, L.«, sagte Joelle. »Ich wollte dir niemals so wehtun.«
»Ich weiß.«
»Ich habe immer darauf bestanden, dass er ein Kondom benutzt«, sagte sie. »Und er musste sich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen.«
Aber selbst wenn Sisypha verrückt war, so war sie mir doch näher, als Joelle mich je an sich herangelassen hätte. Wir, Joelle und ich, waren wie zwei Steine, die eine riesige Lawine nach einem Erdbeben zu Tal getragen hatte, wo sie zufällig nebeneinander liegen blieben – wir lagen beieinander, und das war es auch schon.
Zu Sisypha hatte mich eine Kraft, so zielgerichtet wie die Schwerkraft, getragen.
»L.?« Jo hatte weitergeredet.
»Ja?«
»Ich habe dich gefragt, was du jetzt tun willst.«
»Was soll ich tun, Jo?«
»Ich habe mich nach unserer Begegnung im Museum noch am selben Tag von John getrennt.«
»Wegen Bettye?«
Sie schwieg, und ich dachte, dass mir harte, Zeiten mit Sisypha bevorstanden. Sie würde mich um Verständnis für eine Welt bitten, vor der ich unheimliche Angst hatte. Es war eine Welt voller Drogen und Gewalt. Meine Sexualität würde jeden Tag aufs Neue infrage gestellt werden…
»Wegen dir«, sagte Jo. »Weil ich mit dir zusammen sein will.«
»Warum warst du mit ihm zusammen?«, fragte ich und sagte dann: »Du sollst wissen, dass ich nicht mehr wütend deswegen bin. Mich interessiert nur, warum du es getan hast. Wir sollten einander die Wahrheit sagen.«
»Wirst du mich verlassen, L.?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Acht Jahre lang warst du mir Familie und einziger Freund. Meine Mutter und meine Geschwister empfinden nichts für mich. Du warst mein einziger Freund. Dabei kannte ich dich die ganze Zeit über kaum, das Wichtigste in deinem Leben blieb dein Geheimnis. Nein, ich werfe dir nicht vor, es mir nicht erzählt zu haben. Ich glaube nicht, dass du mir so etwas schuldig bist, aber es zeigt, wie leer unsere Beziehung war.«
»Du musst doch auch Geheimnisse haben«, verteidigte sich Jo. »Vielleicht hattest du Geliebte?«
»Du hast recht. Natürlich«, sagte ich. »Aber so etwas… Mein einziges Geheimnis bestand darin, dass mir die Leere und Oberflächlichkeit meines Lebens nie bewusst waren. Ich habe in einem Loch gelebt, es mein Zuhause genannt und mein Geheimnis, wenn man so will, vor mir selbst verheimlicht.«
»Mit dir ist alles in Ordnung, Cordell«, sagte sie. »Der Fehler liegt bei mir.«
»Ja, ich weiß. Bei dir. Aber das spricht mich nicht frei. Einer der Gründe, warum ich nichts gesagt habe, war, dass ich ohne dich nichts und niemanden mehr hätte. Meine Tage und Nächte wären leer, ich wäre allein.«
»Warst du deswegen plötzlich so lüstern?«, fragte sie.
»Genau. Und nicht nur mit dir. Ich habe seitdem mit drei anderen Frauen geschlafen.«
»Mit wem?«
»Das ist nicht wichtig«, sagte ich. »Wichtig ist, dass ich dir die Wahrheit sage, während du mich immer noch belügst.«
Joelle antwortete mit Schweigen. Ihr ganzes Leben war von Schweigen bestimmt. Wann immer ich ihr nahe gekommen war, hatte sie sich verschlossen. Sie tat mir leid, und gleichzeitig wurde mir bewusst,
Weitere Kostenlose Bücher