Rache der Königin
Regentschaft stets von allen sich bietenden Optionen die jeweils ungünstigste
gewählt hatte, zweifelte niemand, welcher sie in diesem Fall den Vorzug geben wollte. Doch mit den Gründen, die sie für ihre
Wahl nannte, wußte sie alle Räte zu überraschen, den König und Richelieu eingeschlossen.
»Sire«, sagte sie in hochfahrendem Ton, »wenn ich recht verstehe, gedenkt Ihr das Schwert gegen den Herzog von Savoyen zu
ziehen, sollte er Euch keinen Durchzug nach Casale gewähren.«
»Richtig, Madame!«
|36| »Sire! Das geht nicht. Der Herzog von Savoyen ist mein Schwiegersohn.«
»Mit Verlaub, Madame«, sagte Ludwig, »nicht der Herzog von Savoyen ist Euer Schwiegersohn, vielmehr ist dessen Sohn, der Fürst
von Piemont, der Gemahl meiner Schwester Christine.«
Der kleine Rüffel, den Ludwig ihr nicht ohne Vergnügen erteilte, brachte Maria von Medici auf. Unversehens verlor sie die
Beherrschung, vergaß Dekorum und Dezenz und erging sich in Heftigkeiten. Mit purpurrotem Gesicht, wutsprühenden Augen, hochgehendem
Busen brach sie in ihr kreischendes, vulgäres und schmähliches Gegeifer aus, wie es den Louvre regelmäßig erschütterte, seit
sie ihn als Gemahlin Henri Quatres betreten hatte.
»Ob Vater oder Sohn«, schrie sie, »was schert das mich! Er ist mein Verwandter! Wollt Ihr Krieg machen gegen meinen Verwandten?
Und überhaupt bin ich entschieden dagegen, daß wir Casale beistehen!«
»Madame«, sagte Ludwig mit größter Ruhe, »darf ich fragen, warum?«
»Casale gehört dem Herzog von Nevers, und für mich ist der Herzog von Nevers
il più emerito furfante della creazione
1 .«
»Madame«, sagte der König, »darf ich Euch bitten, weniger unziemliche Worte für den Herzog von Nevers zu gebrauchen? Und uns
den Grund Eurer Feindseligkeit gegen ihn zu nennen?«
»Il detestabile bandito ha arruolato un esercito contro di me durante la mia reggenza.«
2
»Madame, Ihr wart Königin von Frankreich, und im Königlichen Rat pflegen die Räte Französisch zu sprechen. Außerdem, Madame,
ist diese Rebellion des Herzogs von Nevers gegen Euch zwanzig Jahre her, und ihm wurde gleichzeitig mit allen denen vergeben,
die sich nach meinem Machtantritt, 1617, gegen mich erhoben.«
Daß Ludwig hiermit auf die bewaffneten Rebellionen Marias von Medici gegen ihn anspielte, entging niemandem im Rat außer wohl
der Betroffenen.
|37|
»Ma un simile insulto non può essere perdonato!«
1 schrie die Königinmutter aufgebracht. »Im übrigen«, fuhr sie fort, »hat Gaston, der seine Witwerschaft schwer erträgt, sich in die
Tochter des Herzogs von Nevers vergafft. Aber diese Ehe will ich um keinen Preis. Ich habe es gesagt und sage es noch einmal«,
schrie sie, in höchstem Zorn um sich blickend, »um keinen Preis will ich diese Ehe!«
»Madame«, sagte der König, »das ist eine Familiensache, darüber diskutieren wir nicht in meinem Rat. Wenn es Euch beruhigt,
wißt, daß auch ich ganz gegen dieses Vorhaben bin, wenngleich aus anderen Gründen.«
Und daß die Gründe der Königinmutter wie üblich kleinlich und persönlich waren, das empfanden alle Räte, die ihr wie stets
mit vorgetäuschtem Respekt zugehört hatten.
Obwohl es für Maria eine gute Nachricht sein mußte, daß auch der König Gastons Eheplan ablehnte, hätte sie dies trotzdem nicht
zur Ruhe gebracht, wäre ihr von ihrem Wüten nicht der Atem knapp geworden. So aber preßte sie die Wurstfinger an ihren mächtigen
Busen, um ihr tobendes Herz zu beschwichtigen, und hielt nach einigem Gebrabbel endlich den Schnabel, nicht ohne der Partei,
der sie hatte dienen wollen, großen Schaden zugefügt zu haben.
Um mich dessen zu versichern, brauchte ich nur verstohlen zu sehen, was für trübe, lange Gesichter Bérulle und Marillac zogen.
Noch als ich mich ein Jahr später dieser Szene entsann, konnte ich mich nur wundern: Wie hatte ein überragender Mann wie Marillac
abermals so unklug sein können, sich zu seinen Zwecken einer so plumpen und unberatenen Fürstin zu bedienen, daß jegliches
Komplott, dem sie sich verschrieb, nur scheitern konnte? Aber das ist eine andere Geschichte, und als ich sie dann durchleben
mußte, stürzte sie mich in unaussprechliche Schrecken und Ängste.
Nachdem das Toben der Königinmutter verstummt war, ließ Ludwig seinen Blick über die Räte schweifen, doch sah er keinen, der
sich getraut hätte, Marias Reden zu billigen oder zu mißbilligen, um nicht entweder ihren Zorn oder
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