Rache der Königin
zu denken, ist es auch jetzt gerade Zeit! Soll der Tanz nicht beginnen, nur weil eine Maske fehlt?‹
Sehen Sie nicht, Madame, was für eine schöne Rolle Bassompierre sich hier zuschreibt! Mit welch prächtigem Gewand er sich
drapiert! Und wie er neben dem armen Ludwig, der unter seiner Sudelfeder schwach, töricht und unfähig zur Tat erscheint, sich
selbst als den strahlenden Heros darstellt, voll jener von den Italienern so bewunderten
furia francese
, indem er diesen schönen kriegerischen Tugenden auch noch die sehr französischen und von den Damen so bewunderten Attribute
hinzufügt: Draufgängertum und Esprit. Madame, ich nehme Sie zum Zeugen, muß man angesichts einer derart galanten Sprache nicht
die Sinne verlieren: ›Soll der Tanz nicht beginnen, nur weil eine Maske fehlt?‹ Die vierundsechzig Kanonen der französischen
Artillerie mit einer ›fehlenden Maske‹ zu vergleichen! Hört, gute Leute, hört! Hier spricht ein Marschall von Frankreich!«
|92| »Sie schenken diesem Bericht also keinerlei Glauben, Monsieur?«
»Nicht den geringsten. Weder dem Bericht noch der Rolle, die Bassompierre sich zuschreibt, noch seinen Reden, zumal er sie
dem König von Angesicht zu Angesicht gehalten haben will. Denn dabei zugegen war erstlich der Favorit des Königs, Saint-Simon,
der zwar den Mund hielt, aber die Ohren aufsperrte. Und es war vor allem zugegen, und wie merkwürdig, daß Bassompierre ihn,
eine im Staat so bedeutende Persönlichkeit, nicht an seiner Seite bemerkt haben will…«
»Richelieu?«
»Ja, Richelieu. Der, vom König um seine Meinung befragt, dabei blieb, die Barrikaden nicht eher anzugreifen, als bis Graf
Sault auf der ungeschützten Südflanke erscheinen und ebenjene Überraschung und Furcht auslösen würde, die man sich davon versprach.
Und selbstverständlich war es diese Meinung, die beim König den Ausschlag gab. Das Umgehungsmanöver war mit großer Sorgfalt
und Mühe vorbereitet worden, und da hätte man im letzten Moment darauf verzichten sollen, wie Bassompierre es wollte, um einen
Frontalangriff zu führen, der stets viele Leben kostet?«
»Und nach allem, was Sie andeuteten, Monsieur, sind die savoyardischen Berichte der Wahrheit auch nicht viel näher?«
»Vermutlich, Madame. Nur sind sie in meinen Augen besser entschuldigt. Die Savoyarden waren die Besiegten und mußten sich
hierüber trösten, indem sie ihr Heldentum in der Niederlage herausstrichen.
So wurde erzählt, Karl Emmanuel, so gichtlahm er auch war, habe sich samt seinem Lehnstuhl mitten in die Barrikaden tragen
lassen, was ja geheißen hätte, er und seine Träger hätten im Fall des Rückzugs leicht gefangen werden können. Ebenso soll
er, als der königliche Herold ihn um freie und freundschaftliche Passage der königlichen Armee ersuchte, mit einem jener prächtigen
Sprüche geantwortet haben, aus denen man später historische Worte macht. Er sagte nein, klar, aber indem er sich mit der savoyardischen
Ehre drapierte:
›Noi‹
, soll er gesagt haben,
›non siamo inglesi e sapremo difendere i nostri passagi.‹
1 Eine deutliche |93| Anspielung, Madame, auf die Belagerung von La Rochelle, nur daß diese Anspielung ein bißchen hinkt, denn in La Rochelle waren
es nicht die Engländer, die ihre Passagen verteidigten, sondern die Franzosen waren es, die ihnen die Passage dank dem berühmten
Deich verwehrten, der in ganz Europa Bewunderung erregt hat.
Und nun zu der zweiten heroischen Episode im Bericht der savoyardischen Historiographen. Als die Franzosen in die Barrikaden
einbrachen, habe der Sohn des Herzogs von Savoyen, Fürst von Piemont, seinen Vater vor der Gefangennahme durch
una brillante carica
1 gerettet. Wie muß man sich die vorstellen ? Zu Pferde, über Gräben und Barrikaden? Oder zu Fuß, als die Barrikaden bereits von der königlichen Armee und von den Schweizern
unter Graf Sault überflutet sind, als die Verteidiger durch das weit offene Stadttor von Susa fliehen und die Angreifer ihnen
nachsetzen? Wieso aber soll man überhaupt glauben, Madame, daß der Herzog und sein Sohn in die Barrikaden gekommen waren?
Auf die Gefahr hin, daß beide im Kampf getötet würden und das Haus Savoyen auf immer erloschen wäre? Ich weiß nicht, wie es
die italienischen Fürsten halten, aber in Frankreich und in ganz Europa ist es Brauch, daß die Herrscher sich nicht ›gefährlichen
Orten‹ aussetzen, wie Richelieu es ausdrückte, wo sie getötet werden
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