Rache der Königin
ein Italiener.«
Für einen »großen Künstler« wohnte Vincenzo Tallarico ziemlich beengt, aber mit viel Geschmack. Gleich auf Filibertos erste
Worte hin war er, fast ohne den Mund aufzutun, bereit, uns als Führer zu dienen, und ging sich unverweilt in einem Nebenraum
ankleiden, so daß wir mit seiner Frau allein blieben, die es nicht ganz leicht hatte, einerseits Wolle mit ihrem Rocken zu
spinnen und andererseits zwei kleine Mädchen zu überwachen, die um sie herum stoben und tausend Schelmereien trieben. Die
Mama hieß Francesca und war sehr schön, Sault und ich betrachteten sie voll stiller Bewunderung, doch so diskret wie möglich.
Die Mädelchen nun, da sie uns schließlich bemerkten, hörten mit ihrem Unfug auf, stellten sich vor uns und musterten uns mit
dem größten Ernst von unten bis oben. Nach beendeter Musterung streckten sie ihre kleinen Zeigefinger nach uns und sangen:
»Sono belli! Sono belli! Sono belli!«
1 , mit welchem Gesang sie erst aufhörten, als ihr Vater wieder eintrat.
|88| Die reizende Szene entzückte und betrübte mich zugleich. So allerliebst sie war, rief sie mir doch Catherine und mein Söhnchen
in Erinnerung, von denen ich so weit getrennt war. Und was mich am traurigsten machte, war, daß ich nicht einmal wußte, wann
ich sie wiedersehen würde, dieser Feldzug fing ja gerade erst an.
Filiberto gab ich zum Abschied zwei Ecus, und er war erstaunt und geschmeichelt, daß er genausoviel bekam wie der Pfarrer
von Refornetto. Er protestierte zuerst, das sei
»troppo, Vostra Altezza, troppo!«
1 . Anstatt sich aber bei seinem Vetter eine Weile auszuruhen, beschloß er zu meiner großen Überraschung, sofort den Rückweg anzutreten, sei es, daß ihn in Chiomonte eine dringliche
Arbeit erwartete oder daß er darauf brannte, seiner Frau zu zeigen, wie seine Mühe belohnt worden war.
Vincenzo Tallarico hatte sich für den langen Marsch durch Schnee und Kälte trefflich gerüstet. Er war ein großer, kräftig
gebauter Mann mit starker Brust und wettergegerbtem Gesicht, seine regelmäßigen, männlichen Züge ließen mich an einen römischen
Legionär denken. Wie er so an der Spitze unserer Kolonne marschierte, schien es mir zuerst, daß er recht langsam gehe, bald
aber merkte ich, daß dies der Schritt des Gebirglers war, der lange Strecken zu meistern vermag, ohne das Tempo zu ändern,
ob es bergauf ging oder bergab. Die ganze Zeit, die Vincenzo bei uns war, blieb er außerordentlich schweigsam, sei es, daß
er es von Natur aus war, sei es, daß er seinen Atem sparen wollte.
Leser, dieser lange, lange Marsch von Refornetto nach Susa war so hart, daß es mir eine Pein wäre, ihn auch noch zu erzählen.
Zumal außer ein paar Stürzen nichts Bemerkenswertes passierte, nur daß gegen Ende ein paar Schweizer, die im Gehen eingeschlafen
waren, sich verirrten, doch fanden sie sich tags darauf wieder ein. Mein Herz begann zu klopfen, als Vincenzo mich rufen ließ
und sagte, vom Gipfel des Berges, den wir gerade erstiegen, würde ich Susa und seine Barrikaden sehen. Ich schickte Nicolas,
es Graf von Sault zu melden, der sogleich eine Rast einzulegen befahl. Dann fragte er mich, ob ich die Lage nicht selbst erkunden
wolle, in welchem Fall er mir zwei Schweizer zur Begleitung mitgäbe.
|89| Ich machte mich also auf mit den beiden Schweizern, obwohl ich nicht recht wußte, was sie für mich tun könnten, es sei denn,
meine Leiche zu Graf von Sault zu tragen, sollten wir hinter dem Gipfel auf einen Vorposten stoßen. Doch nicht dies bereitete
mir die meiste Sorge, so unerfreulich es auch war. Vielmehr zitterte ich davor, daß die Lage sich seit meinem Besuch bei Karl
Emmanuel verändert haben könnte. Angenommen, Bellones Gewißheit, daß die Franzosen nicht von der Südflanke her angreifen würden,
war ins Wanken geraten, und er hatte sich nach meinem Besuch im letzten Moment entschieden, besagte Flanke zu sichern, eine
Befestigung zu bauen und Soldaten hineinzustellen, dann verlor die Strategie, die meine Auskünfte dem Kardinal und dem König
eingegeben hatten, vollständig ihren Überraschungsvorteil.
Obwohl der Himmel bewölkt war, gab es nicht einen Anflug von Nebel, der uns verbergen konnte, und wir erklommen die letzten
Klafter bis zum Gipfel auf dem Bauch im Schnee. Oben angelangt, hob ich vorsichtig den Kopf, riskierte ein Auge, und mir fiel
ein riesiger Stein vom Herzen. Gott sei Dank! Keine Befestigungen, keine Vorposten, keine
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