Rache der Königin
aufzuhalten.
Es ging auch alles sehr gut, nur daß es keine reine Freude war, in Kälte und grauer Frühe einen verschneiten Pfad nach dem
anderen über Berg und Tal zurückzulegen, auch wenn besagte Höhen vierhundert Klafter nicht überstiegen. »Aber das ist noch
gar nichts«, sagte Filiberto, mir zum Trost, »schlim mer wird es von Refornetto nach Susa.«
Wir erreichten Refornetto, als der Pfarrer eben die Frühmesse beendete. So konnte ich die Gläubigen, die aus der
chiesa parrochiale
kamen, ansprechen und versichern, daß wir ihnen kein Leid antun würden, keine Gewalt, Beschimpfung, Plünderung oder Vergewaltigung,
daß wir lediglich in aller Freundschaft durch den Ort ziehen wollten, nachdem wir ihrem guten Pfarrer unsere Ehrerbietung
bezeigt hätten.
In dem Moment trat besagter Pfarrer majestätisch auf die Schwelle seiner Kirche, ich zog sogleich graziös meinen Hut, Graf
von Sault desgleichen, und Filiberto machte ihm eine tiefe Verbeugung, während unsere Schweizer strammstanden und |86| die Hacken zusammenschlugen, welches Schlagen übrigens wenig Lärm machte, weil besagte Stiefel in dickem Schnee steckten.
Der Pfarrer neigte mit schönstem Wohlwollen den Kopf und bat uns in die Sakristei, wo ein tüchtiges Feuer brannte und von
wo er rasch die drei
chierichetti
1 vertrieb, die sich dort noch herumdrückten, sicherlich wollte er bei unserem Gespräch keine Zeugen.
Ich habe vergessen, wie der Pfarrer hieß, und das ist schade, denn oft charakterisiert der Name den Mann, der ihn trägt. Nehmen
wir zum Beispiel Filiberto. Welcher Name hätte besser zu seinem herzlichen und wortgewandten Wesen gepaßt? Ohne einen Namen
jedenfalls scheint es mir schwierig, den Pfarrer von Refornetto zu beschreiben, denn soweit ich mich erinnere, war es ein
Mann von mittlerem Alter, mittlerem Wuchs, mittlerer Korpulenz und, so würde ich sagen, auch mittlerer Seele.
Auf jeden Fall sah er nichts Unschickliches darin, daß ich ihm »die Räder schmierte«, zum ersten mit fünf Flaschen Wein, die
Nicolas ihm übergab und die er auf einen langen Tisch stellen mußte, wo bis auf den Faden durchgewetzte priesterliche Gewandstücke
ausgebreitet lagen. Zum zweiten bot ich ihm eine kleine Börse, die zwei Louisdor enthielt. Er zog sie einen nach dem anderen
hervor, wog sie in der Hand, betrachtete lange das Profil Ludwigs XIII., und daß er nicht hineinbiß, um sich der Reinheit
der Münzen zu versichern, lag wohl nur daran, daß er im letzten Moment Scham empfand.
Schöne Leserin, ich möchte nicht, daß Sie denken, ich machte mich hier über den armen Pfarrer lustig. Denn arm war er wirklich,
so wie alle Landpfarrer, ob in Italien oder Frankreich, weil sie von ihren schwerreichen Bischöfen nur den erbärmlichsten
Lohn erhielten. Weshalb ihr Leben oft von der Gebefreudigkeit ihrer Schäflein abhing, die aber genauso arme Teufel waren.
Obwohl ich noch gut weiß, wie Ludwig sich einmal über diese Armut der Landpfarrer entrüstete und dem Episkopat deshalb schwere
Vorhaltungen machte, kann ich nicht sagen, ob diese irgendeine Wirkung hatten.
Nachdem ich ihm also »die Räder geschmiert« hatte, ohne mit der Schmiere zu knausern, fragte ich den Pfarrer, ob er etwas |87| dagegen habe, wenn ich Vincenzo Tallarico, sein Pfarrkind, bäte, mir als Führer von Refornetto nach Susa zu dienen.
Er beteuerte sogleich, durchaus nicht, und ich könne Vincenzo Tallarico sagen, er sehe nichts Unrechtes dabei, und sofern
er, Vincenzo, einverstanden sei, sei er es auch.
Bevor wir aufbrachen, fragte er mich jedoch, warum ich den langen und schwierigen Umweg über das Gravere nähme, wo es doch
viel leichter für mich wäre, die Straße an der Dora Riparia entlang nach Susa zu nehmen. Die Frage dünkte mich nicht ungefährlich,
und ich täuschte Unkenntnis vor: Ich wisse nicht, was der Umweg solle, ich gehorchte nur dem Befehl meines Königs. Ob der
Pfarrer mir glaubte oder nicht, weiß ich nicht, doch hielt er es offenbar für klüger, die Befragung seinerseits nicht fortzusetzen,
und ließ mich ohne weitere Erklärungen ziehen.
Als wir die Kirche verließen, lobte mich Graf von Sault.
»Mein Herr Bruder (so nannten wir einander, um uns nicht bei jedem Wort mit den Titeln aufzuhalten), ich bewundere, wie Ihr
die Dinge mit dem guten Pfarrer von Refornetto geregelt habt.«
»Mein Herr Bruder«, sagte ich, »das ist die Wirkung der
gentilezza
. Wenn ich in Italien bin, fühle ich mich ganz wie
Weitere Kostenlose Bücher