Rache: Die Eingeschworenen 4

Titel: Rache: Die Eingeschworenen 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low

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Runen beschrifteten Stiel, etwa auf der Länge eines Unterarmes vom Kopf entfernt. Er trat zurück und hob die Hände.
    » Wer möchte den ersten Kuss?«, fragte er, und Finn, der Nacken und Schultern kreisen ließ, sah den teilnahmslosen Stammkel an und brummte etwas, dann trat er vor und ergriff den glatt polierten Eschengriff mit beiden Händen.
    Die Männer traten weiter zurück, als Finn auf eine Bank stieg und zum Ende des Tisches ging. Er verrückte ihn etwas, und Krähenbein, der am nächsten stand, lehnte sich am anderen Ende dagegen, damit er nicht kippte– was mutig war, denn damit war er selbst in Gefahr. Alle anderen hatten sich jetzt weit zurückgezogen, und Pallig hatte sich schnellstens wieder auf seinen Hochsitz begeben.
    Finn hockte auf der Tischkante wie ein Vogel– um sein Gleichgewicht besser halten zu können, aber auch, damit er sich nicht zu stark zurückbeugen musste– dann holte er zweimal tief Luft und ergriff die Axt, um ihr Gewicht abzuschätzen. Über die Köpfe der Anwesenden hinweg warf er mir einen Blick zu, und ich sah, dass er grinste.
    Er packte den Stiel, gleich hinter dem roten Band, und hob ihn mit ausgetreckten Armen hoch. Immer höher hob er die Axt, dann ließ er sie, nur mit der Kraft seiner Handgelenke und ohne zu zittern, langsam herunter, die Klinge auf sein nach oben gerichtetes Gesicht gerichtet, bis die Kante, die scharf wie ein Rasiermesser war, seine Lippen berührte.
    Ein paar Männer klatschten und jubelten, dann sprang Finn vom Tisch und hielt Stammkel die Axt hin. Er ergriff sie, kletterte auf den knarrenden Tisch und tat das Gleiche; die Männer brüllten und schlugen auf die Tische. Pallig trat vor und langsam, sodass jeder es sehen konnte, schob er das rote Band eine Handbreit weiter nach unten.
    So küsst man Odins Tochter. Bei jedem Stück, um das das Band weiter nach unten gleitet, wird die Axt schwerer. Betrunkene und Dummköpfe machen das Spiel bei Festgelagen mit normalen Äxten, und es geht selten ohne Verletzungen ab; meist fehlt hinterher ein Stück von der Nase oder der Lippe.
    Die Stille wurde mit jedem Weiterschieben des roten Bandes größer, bis am Schluss kein Platz mehr war, um den Axtstiel mit beiden Händen zu umfassen. Alle hielten den Atem an, denn jetzt wurde es spannend und wirklich gefährlich. Ich schwitzte, denn ich hatte Stammkel im Einsatz gesehen. Ich war mir meiner Sache nicht mehr so sicher wie anfangs, als wir diesen Plan aufgrund von Finns Geschick im Armdrücken gefasst hatten.
    Finn nahm den Stiel in die rechte Hand, und mit einem Blick auf die blassen Gesichter im Feuerschein zu beiden Seiten hob er unendlich langsam den Arm und fing an, die Axt zu senken. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen, aber die Klinge berührte seine Lippen, weiter nichts. Diesmal wurde nicht gejubelt, man hörte nur ein allgemeines erleichtertes Aufatmen, wie Wind in den Bäumen.
    Stammkel war an der Reihe. Er trat hervor und hob die Axt, und das Grinsen, das durch seinen roten Bart drang, ließ mir das Blut in den Adern gerinnen. Ich wusste, er würde es schaffen, und zwar mit Leichtigkeit, und das Gebrüll, das bald darauf ertönte, ließ die Balken erzittern. Pallig setzte sich wieder in seinen Hochsitz zurück, strich sich den dünnen Bart und lachte.
    Jetzt verlangte es die Spielregel, dass beide abwechselnd weitermachen, bis einem vor Erschöpfung das Handgelenk nachgab. Doch Finn war offenbar anderer Meinung. Er zwinkerte mir zu, dieses alte Botolf-Zwinkern, bei dem mir der Mund trocken wurde.
    Dann kletterte er auf den Tisch und nahm Odins Tochter wieder in die Hand. In die linke, worauf sich ein leises Gemurmel erhob. Ein Krieger war fast immer Rechtshänder, und dies war auch Finns stärkere Hand– er wollte also den Einsatz erhöhen.
    Er hob die lange Axt, deren Schneide im Feuerschein aufblitzte, dann senkte er sie langsam auf sein Gesicht herab, das nach oben gedreht war wie eine Blüte zur Sonne, wie ein Kind sein Gesicht zur Mutter dreht. Ich sah sie zittern, nur kurz, und hatte große Mühe, mir nicht in die Hose zu pissen. Dann küsste er sie– es war ein heftigerer Kuss als vorher, doch es floss kein Blut.
    Wieder gab es ein paar bewundernde Ausrufe, denn selbst Palligs Leute schätzten das Geschick und die Kraft, die dazu vonnöten waren. Finn sprang vom Tisch und hielt die Axt mit ausdrucklosem Gesicht Stammkel hin.
    Der große Kerl nahm sie mit finsterem Gesicht– sollte er unsicher geworden sein? An diesen Strohhalm