Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
weitgereiste Händler auch. Außerdem war das Wetter entsprechend. Hasan vertrat die Meinung, dass wir wegen des Verkaufserfolges am Samstag einen auf die Lampe gießen müssten. Nun fand ich es gar nicht so schlecht, dass Abdullah Mackenrodt auf mich hetzte. Hasans Frau schenkte Likör oder besser gesagt eine Art »Kommodenlack« aus, den sie selbst fabrizierte. Das Zeug biss im Rachen, schmeckte aber. Wir soffen wie die Löcher bis morgens gegen halb drei und niemand bekam einen Brummschädel, komisch! Dann bewegte ich mich schwankend zu meiner »Miniatursuite«, d.h., ich kroch in meinen Kleintransporter und haute mich auf ein paar Decken. Gegen 9.00 Uhr früh klopfte Hasan Ali Abdullah schon wieder an meine Hecktür – das Frühstück stand bereit.
Am Sonntag ging es viel turbulenter zu, als am Samstag. Nachmittags ein Uhr saßen wir wieder in unserem »Bistro« bei Hammel, Fladenbrot und Kaffee. In der Zwischenzeit wurde mein Verkaufsstand von einem Helfer bewacht. Plötzlich brach ein ungeheuerer Tumult los. Einer der Kaufkunden hatte bei Hasans Kompagnon einen Silberleuchter gestohlen. Eine internationale Verfolgungsjagd entbrannte. Zwei Russen, ein Holländer, zwei Türken und ein Deutscher rasten zwischen den Flohmarktständen hinter dem Dieb her. Dieser geriet, wie in einem Irrgarten in die Enge getrieben, nach wenige Minuten in »Gefangenschaft«. Die Verfolger zerrten ihn in eine Ecke und stellten ihn auf den Kopf im wahrsten Sinne des Wortes! Dabei kamen eine alte Granatbrosche und ein goldener Anhänger mit Kette zum Vorschein. Beide Schmuckstücke stammten von der kleinen Auslage an »Trudes Bratwurstbude«. Die betagte Dame versuchte gar nicht erst, die Verfolgung aufzunehmen, denn das brauchte sie nicht. Jetzt kam sie angehumpelt, rechtsseitig auf ihren Krückstock gestützt, den sie jetzt drohend erhob und dem Dieb gegen die Brust drückte. Es hatte den Anschein, als sei sie seine Duellantin, die nun den Todesstoß ausführen wollte. Dann ließ sie den Stock sinken und versetzte dem Dieb einen empfindlichen Schlag gegen das rechte Schienbein. »Mach dir bloß üwan Damm, olla Zausel!«, sagte sie. Es klang, als hätte eine Mutter ihren Sohn gerügt. Dann verabreichte man ihm noch eine tüchtige Ohrfeige und einen Tritt in den Hintern – somit war die Sache gegessen! In unmittelbarer Nähe befand sich eine »Grüne Minna«, deren Insassen das Treiben einäugig beobachteten. Die Polizisten nahmen die verübte Selbstjustiz dankbar hin und hakten den Fall ohne großes Trara ab. An jenem Samstag und Sonntag stand die alte Dame ausnahmsweise am Brandenburger Tor. Sie bot außer der Reihe etwas Modeschmuck, irgendwelchen Klimbim oder Tinnef aus Urgroßmutters Zeiten feil, eben auch diesen alten Granatschmuck in Form von Broschen, Anhängern und Armreifen.
Trude, das Berliner Idol, betrieb tatsächlich eine mobile Bratwurstbude zur Aufbesserung ihrer Rente. Natürlich gab es auch Berliner Bouletten und zuweilen gegrillte Haxen. Abdullah transportierte Trudes Holzgehäuse per Kran und LKW immer dahin, wo sie gerade stehen wollte, falls natürlich die Stadtverwaltung mitspielte. Am liebsten hätte sie sich mit ihren Stand an der Krummen Lanke oder am Schlachtensee bei Steglitz-Zehlendorf etabliert. » ... nämlich, weil wa da als Kinda ville rumjestromat sin«, gab sie als Begründung an, doch der Umsatz ließ dort wohl sehr zu wünschen übrig. Und weil sich Trude auf Bude reimte, machte man eben seinen Witz über sie:
So alt wie Trude
ist die Bratwurstbude.
Irgendwann erzeugte Trude einen Eklat, weil sie sich mit ihrem Bratwurststand zu nahe an den Reichstag wagte und sie sich plötzlich in einer vom Amt inszenierten Bannmeile befand. Mit dem Bratwurstverkauf in dieser Gegend war’s aus. Trude musste also das Feld räumen. Abschließend wanderte noch ein Verwarnungsgeld aus ihrer Tasche in die der Stadtkasse. Vielleicht hat sie an Helmut Kohl gedacht und sich gewünscht, dass der sich an ihren Grillhaxen laben würde. Außerdem hoffte sie auf ein Gespräch mit dem Bundeskanzler, in welchem sie zum Ausdruck bringen wollte, dass, weil die Mauer niedergerissen wurde, nun auch der Umsatz mit »Thüringer Bratwürsten« und sonstigem Imbiss besser florieren würde. »Trude’s Bratwurschtstand is ja ooch’n Unnekat, Jott sei Dank! Da ham de Ossis wenichstens wat zu fressen!«, meinte ein bösartiger Bürger aus Adlershof, der im Begriff war, eine Berlinboulette mit Mostrich und Schrippe zu erwerben.
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