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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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ein Vermögen wollte ich ja nicht! Und es war doch Meissner Porzellan – ein Kaffeeservice für zwölf Personen, drei Tassen sind zu Bruch gegangen, durch den Zahn der Zeit, wissen sie? Dieses Geschirr stammte aus der Erbmasse meiner Eltern!«. Dann zeigte mir die Rentnerin eine schmutzige, stark beschädigte Untertasse, ein Beweisstück, welches der Dieb außer Acht ließ. Ich traute meinen Augen nicht – es war Marcolini, die Meissner Epoche vom Ende des 18. Jahrhunderts. Ich schwieg. Dann fuhr Frau Wachsmuth fort: »Der Händler hat gesagt, dass das Porzellan mit der Meissner Manufaktur nichts zu tun hat. Das will ich gar nicht glauben! Den Namen dieses Mannes habe ich vergessen – ach Jott, vielleicht hat er ihn auch nicht genannt! Er hat mir jedenfalls versprochen, dass ich in zwei Tagen mein Geld bekomme! Und dann hat er alle meine Schubfächer aufgezogen. Ich weiß auch nicht so genau, was da alles so im Einzelnen noch drin war. Jedenfalls fehlt eine alte Granatbrosche und eine Damentaschenuhr, 750er Gelbgold. Sie sehen ja, wie schlecht ich bestellt bin!« Dabei zeigte die Frau auf ihre Füße, die von oben bis unten verbunden waren. Diesen Anblick war ich gewohnt es waren die offenen Beine derjenigen Leute, die einer fachgerechten Wundversorgung entbehrten und die man wegen dieser Wundgerüche mied. In einer Zimmerecke standen Kartons, in denen sich blutverschmierte und eitrige Binden befanden. Aus diesem Grund machte sich, begünstigt durch die nasskalte Atmosphäre in den Wohnräumen, ein furchtbarer Gestank breit. Die Müll- und Ascheeimer quollen über, ebenso die Mülltonnen auf dem Hof.
    Ich entdeckte an den Zimmerwänden helle Flecken und Nägel darüber, an denen einst Bilder hingen. Die Frau schluchzte. Jetzt redete sie sich ihren Gram von der Leber – kurzum, sie war schlicht und einfach ausgeraubt worden. Der so genannte Kommissionär war mit allem, was nicht niet- und nagelfest war, vor etwa 14 Tagen von dannen gezogen. Ein Zechpreller der besonderen Art war also am Wirken und verstieß laut deutschem Recht gegen die guten Sitten. Ich verwarf diesen Paragraphen, denn hier gab es eine völlig andere Sachlage – der Dieb ging über Leichen und konzentrierte sich auf gehandikapte Leute. Seine überaus nette und zuvorkommende, als biedere Hauswirtschaftshilfe verkappte Gangsterbraut, war vom Einkauf notwendigster Artikel des täglichen Bedarfs für die alte Dame nie zurückgekehrt. Ich inspizierte eine Art Kinderzimmer. Hier bot sich ein ebenso furchtbares Bild wie in den übrigen Räumen – der morsche Fußboden z. B. war eingebrochen, der Putz an der Zimmerdecke hing zum Teil in großen Fladen herunter. »Nehmen Sie doch die Öfen!«, bat die Frau. Wohlgemerkt – man schrieb den 10. November! Ich lehnte im Interesse dieser Frau kategorisch ab und kündigte einen erneuten Besuch für den nächsten Tag an. Das Gebäude, in welchem die Frau wohnte, war übrigens ein Acht-Familienhaus und bis auf die Räumlichkeiten der Frau Wachsmuth leergezogen. Dazu befand sich betreffende Wohnung unterm Dach. Das Dachgesims war teilweise herunter gebrochen und der Wind fegte in ungünstigem Fall Schnee und Regen über die Zimmerdecken. Bevor ich verschwand, trug ich die übervollen Mülleimer auf den Hof und versuchte, den Müll in den Mülltonnen zu dezimieren. Dabei trat ich mit den Füßen gegen die Wandungen derer, oder wuchtete die Behälter auf dem Pflaster des Hofes hin und her – nichts! Ich schmiss den Müll auf eine illegale Mülldeponie, die ich im Grundstück entdeckte und stieg wieder ins vierte Obergeschoss. Jetzt waren die schmutzigen Mullbinden an der Reihe. Ich stopfte sie in Plastsäcke, die ich Gott sei Dank fand und schleuderte sie später in einen städtischen Müllcontainer. Am Abend fuhr ich zu Mackenrodt und berichtete von meinem Fund und vor allem von den chaotischen Zuständen in betreffendem Haushalt und davon, dass die Existenzgrundlage einer kranken alten Rentnerin in verbrecherischer Art und Weise zerstört wurde.
    Mackenrodt war außer sich, nicht wegen der ausgeraubten Wohnung, sondern wegen des wertvollen Geschirrs, das man ihm angeblich vor der Nase wegschnappte und wegen der tollen Öfen. Er hatte sofort einen Antiquitätenalmanach von 1989 parat, in diesem Fall nicht brandneu, aber mit halbwegs aktuellen Preisangaben. Der Kopenhagener Rundofen stand mit zweitausend DM zu Buche, ebenso der transportable Gussofen. Der Kachelofen der Firma Teichert wurde schon mit knapp

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