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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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zufrieden und legte mir gnädigerweise einhundert »Mücken« auf die Hand, natürlich in Zwanzigern. Er nahm nach alter Manier wieder einen Schein zurück. Dieses Mal ergänzte er diesen Zwanziger durch einen Fünfziger. War das die neue Masche Mackenrodt’s? Damit hatte ich also 740 DM in der Tasche.

Die Scheusale aus dem Leipziger Norden

    Inzwischen war wieder der Alltag eingekehrt. Mackenrodt ließ mir erst einmal Narrenfreiheit, denn sein Braunschweiger Geschäft war durch meine Mithilfe halbwegs gut gelaufen. Nach kurzer Zeit stand Mackenrodt wieder auf der Matte, weil er antike Feuerstätten, also von der »Kanone« bis zum Kachelofen, erwerben wollte. Außerdem bat er mich auszukundschaften, ob es in den Grundstücken noch historisch bedeutsame Baustoffe gab. Er hatte überall seine Finger drin. Nach einiger Zeit erfuhr ich, dass einer seiner heißen Drähte zur Firma Gerhard Boepple nach Berlin-Neukölln in die Sonnenallee führte. Ich beschloss, mich der längsten Magistrale Leipzigs, also der Schumannstraße von Hausnummer 1 bis 450 zu widmen. Außerdem gab es in ihr doppelt so viele Grundstücke einschließlich der Hinterhäuser, in die man von außen natürlich keinen Einblick hatte.
    Ich begann also mit dem Anfang der Georg-Schumann-Straße und plante, mich erst einmal rechtsseitig in westliche Richtung zu bewegen. Dabei wählte ich natürlich ältere Grundstücke aus, besonders solche, bei denen man in den Zimmern auf hohe Zimmerdecken schließen konnte. Allerdings gehörten manche Feuerstätten einfach zum Inventar der jeweiligen Grundstücke, so dass es dann nie die Möglichkeit gab, solche Öfen offiziell abzutragen. Ich befand mich bereits in Höhe der fünfziger Hausnummern und betrat ein x-beliebiges Grundstück. Ich stieg ins vierte Obergeschoss. Dort stand die Korridortür offen, an der ein herrliches Emailschild mit kalligraphisch aufgedrucktem Vor- und Zunamen des ehemaligen Familienoberhauptes Karl Wachsmuth prangte. Derartige Namensschilder waren für mich immer äußerst anmutend. Leute mit besonders klebrigen Fingern waren auf sie besonders scharf. Ich stellte mir oft die Frage, was sich hinter solchen Schildern verbirgt – logisch, eine Generation fortgeschrittenen Alters! Eine erbärmlich abgemagerte Hauskatze sah mich durch den Türspalt an. Ich klopfte am Oberlicht. Als sich nichts rührte, schob ich behutsam die Tür auf und betrat den Korridor. Die Katze strich ohne Argwohn um meine Hosenbeine und miaute. Es hörte sich wie ein Klagelied an. Ich hustete laut und klopfte an eine der Türen, die halb offen standen. Dabei entdeckte ich einen so genannten Kopenhagener Rundofen aus dem 19. Jahrhundert und einen transportablen, herrlichen Gussofen. Der gusseiserne Ofen wurde wohl erst vor kurzem aus dem Schornstein gerissen, um ihn später abzutransportieren. Es roch nach Grude oder Rohkohlenkoks, so, wie in der Küche meiner Großeltern, wenn im Winter der Sturm auf den Schornstein drückte und Rauch durch die Ofenritzen drang. In diesem Raum hauste die Wohnungsinhaberin bei Tag und Nacht. Hier hatte sich inzwischen eine schauerliche Nasskälte ausgebreitet. In einer Zimmerecke befand sich ein stationärer, fast zimmerdeckenhoher, türkisfarbiger Jugendstil-Kachelofen mit wuchtigem Gesims. Es war ein Produkt der Firma Teichert aus Meissen. Dieser Ofen war seit langer Zeit außer Betrieb. Alles stand angeblich zum Verkauf – zunächst erst einmal. Da saß also Frau Wachsmuth ein wenig nach vorn gebeugt in einem Sessel, als wollte sie jeden Moment aufspringen. Ihre Hände waren blaugefroren. Sie umklammerten einen Gehstock. Diese stark gehbehinderte Frau, weit über achtzig Jahre alt, benutzte eine Toilette auf halber und morscher Treppe. Sie bot mir diese Öfen, natürlich aus der Not geboren, wie »sauer Bier« an. Sie trug nicht nur das letzte Hemd auf ihrem Körper, sonst waren auch Büfett und Regal wie leergefegt. Überhaupt, ich stand inmitten schrottreifen Mobiliars. »Was soll ich machen?«, meinte die Dame, »ich brauch das Geld, vor allem bei dieser hohen Miete! Wenn Sie die Öfen übernehmen würden?« Mir schnürte es die Kehle zu. Ich sah mich im Zimmer um. Mein Blick blieb am leeren Stubenbüfett hängen. »Das Geschirr, welches ich besaß«, dabei zeigte die Frau auf dieses Möbelstück, »hat ein Händler in Kommission genommen«. »Welcher Händler?«, fragte ich. »Ach«, entgegnete die Frau, »der war mit meinem Zeug so schnell verschwunden, und ich ... ach Gott,

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