Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
vorgesehen. Die geplante Teilauflösung schien uns wichtiger. Wir läuteten an der Wohnungstür, an der sich wieder mal ein schönes altes Namensschild, Julius Hamann, befand. »Sehr verräterisch!«, sagte ich. »Wieso?«, fragte Mackenrodt. »Man kann leicht auf die Altersgruppe der Familie schließen, die dahinter wohnt!«, antwortete ich. Es rührte sich nichts, obwohl Mackenrodt mit der Wohnungsinhaberin verabredet war. Nach einer Weile wurde das Oberlicht der Korridortür geöffnet. Da war eine kleine, alte Frau, die sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um uns wahrnehmen zu können. »Was woll’n Se’n?«, war die Frage. Mackenrodt erinnerte daran, dass er für die Besichtigung des Haushaltes Hamann avisiert war. Die Frau krachte das Oberlicht einfach wieder zu. Wir ließen nicht locker und läuteten nochmals, dieses Mal ziemlich lange. Jetzt ging das Oberlicht wieder auf und Frau Hamann ließ ein Donnerwetter los. Sie schimpfte auf Gott und alle Welt, die in die Taschen ehrlicher, rechtschaffener Leute grapschte, um sich auf kriminelle Art und Weise zu bereichern. »Wat denn, Muttchen?!«, so Mackenrodt. Er war bei der Alten schließlich an der falschen Adresse. »Ich bin nich Ihr Muttchen, vorschtanden?!«, war die Antwort. Nach langem Hin und Her gelang es mir, die Frau zu besänftigen. Sie öffnete sogar die Korridortür einen Spalt, dann zog sie vom Leder: »Da war so ‘ne Ische von Altenhilfe, die mir was von Nächstenliebe vorbrabbelte. Zwischendursch wollte se ’n Glas Wasser, weil ihr übel war. Vielleicht war‘s Aas schwanger?! Der angehende Vater müsste se sitzen lassen – das wünschte isch! Oh Gott! Dann hat se mir so ‘ne komische Wisitengarde unter de Nase gehalten. Isch gloobe, da war so’n heiliges Motiv offgedruckt. Drunter stand noch ne ellenlange Delefonnummer und de Offschrift – für’n Notfall!. Dann hat das Balg gesacht, dass es nur noch eene dieser Wisitengarden besitzt, sie müsste erscht widder welsche drucken lassen und hat se widder eingesteckt. Raffeniert eingefädelt, nisch? Drecksche Fingernäschel hattes Luder! Plötzlich war’s verschwunden. Das Glas Wasser hat die Frau gar nisch angerührt. Bevor isch gemerkt hab, dass meine Handtasche mit Inhalt fort war, hat schon wieder eener geklingelt und ‘n Mann stand draußen. Der hat nach alten Nähmaschinen gefragt. Ich hab’n reingelassen und ihm das Ding gezeischt. Is ‘ne »Singer« von 1900. Der Mann hat sisch in Wirlichkeit nur für meine Elfenbeinminiatur interessiert. Er hat gesagt, dass er die Maschine nehmen würde, doch erst Geld holen müsse, denn so viel hätte er nich in dor Dasche. Dann isser verschwunden, natürlisch mit meiner Miniatur! Von der Polente hab ich mir abber was anhören müssen, weil ich irgendwelche Typen in de Wohnung gelassen habe, einfach so!« In den Augen der Rentnerin lag Verbitterung. Dann schmiss sie uns die Tür vor der Nase zu, schaute jedoch wieder durch das Oberlicht. Man sah nur Augen und Nasenspitze der Frau. »Eigentlich machen Se geen schlechten Eindruck, aber heute werd’s nüscht mit uns! Isch muss den Ärger erscht verdauen – gomm‘ Se nächste Woche widder!«, sagte sie.
»Da hamm wa noch die Teilufflösung!«, erinnerte mich Mackenrodt. Das betreffende Grundstück befand sich am anderen Ende der Eisenacher Straße. Die Haustür war verschlossen. Wir läuteten im ersten Obergeschoss. Da schnarrte es durch die Sprechanlage, dass es zurzeit höchst »unpässlich« sei zu läuten, weil man im Hause derzeit die obligatorische Mittagsruhe hielte. »Sehr witzig, 11.15 Uhr!«, sagte ich mir. Ich hätte gern noch einen zweiten Versuch gestartet, um an die Leute heranzukommen. Dieses Mal machte sogar der selbstbewusste Mackenrodt einen Rückzieher. Natürlich hatten sich die Ereignisse im Leipziger Norden herumgesprochen. Die Leute machten jedenfalls ihre Schotten dicht.
Wir haben die Funktelefonnummer der Trickdiebin gewählt – vergeblich! Mehrere Tage vergingen. Erneute Versuche schlugen fehl. Ich fingierte ein saftiges Antiquitätensammelsurium, bei dem die Langfinger mit Sicherheit auf den Leim gehen würden. Um ein nettes Verkaufsangebot zu entwerfen, musste ich erst eine »Strohperson« finden. Es gelang mir, wenn es auch mehrere Tage in Anspruch nahm. Da gab es eine gewisse Frau Almstädt, hypermodern eingerichtet. Von allem angeführten Inventar gab es nicht die Bohne. Dazu befand sich, natürlich zu ihrem Leidwesen, ihre Wohnung im vierten Obergeschoss.
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