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Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers

Titel: Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Schmidt
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zwanzig Bücher auf den Unterarmen vor sich her, stabilisierte den Bücherstoß mit dem Kinn, verlor deshalb die Orientierung und kippte vornüber. Ein Teil der Bücher schusselte vom Wagen auf die Straße. Ich erkannte in Jasper ein »Spezi« auf antiquarischem Gebiet, denn vor meinen Füßen lagen z.B. eine Erstausgabe der »Buddenbrooks« von Thomas Mann, Ausgabe 1901 und ein Poesiealbum von 1810, welches zahlreiche Aquarelle enthielt. »Massenware und Kitsch!«, entfuhr es Jasper streng. Dann hob er die restlichen Bücher auf und warf sie auf das Ersatzrad im Wageninneren. »Die Buddenbrooks« und das Poesiealbum legte er schön vorsichtig auf einen Beistelltisch in der Garage. Inspiriert von seinem tollen Fund in meinem Kleintransporter kroch Jasper wieder zwischen die Bücher, fädelte einige seltene Reiseführer von Karl Baedecker, Leipzig, heraus und warf sie auf den Tisch. »Massenware!«, gab er wieder von sich. Einige dieser Reiseführer beschrieben Berlin 1936, Petersburg, Indien und Ägypten/Sudan. Für alle Exemplare hätte mir Hasan Abdullah ohne mit der Wimper zu zucken mindestens sechshundert DM gezahlt. Jasper war ein richtiger Zauberer. Gerade eben lagen diese Reiseführer noch auf dem Tisch, dann waren sie plötzlich verschwunden. Ich musste diesem Spiel ein Ende bereiten, bevor ich die Übersicht verlor. Jasper jedenfalls holte aus einer Makulaturkiste einige Dreigroschenromane heraus, die ich eigentlich gratis unters Volk jubeln wollte. Jasper blätterte pro forma in diesen Heften herum und schob die Unterlippe nach vorn. »Alle Achtung!«, sagte er und meinte, dass er diese Ausgaben schon seit langer Zeit suchen würde. »Na toll!«, sagte ich und zog einen Bananenkarton mit ausgesprochenem Schund unter einer Sitzbank hervor. Jetzt passte Jasper und wollte aus dem Fahrzeug steigen. »Moment!«, sagte ich und krachte die Hecktür des Transporters vor seiner Nase zu – er war ins Fahrzeug gesperrt. Die Bücher die er sich unter den Nagel riss, holte ich aus der Garage und warf sie ins Wageninnere. Die beiden Reiseführer von Baedecker hatte Jasper wie mit einem Taschenspielertrick im ersten Buchsortiment verschwinden lassen. Ich hatte Jasper nun seiner Freiheit beraubt. Er schlug von innen gegen die Scheibe und ich von außen. Jetzt verhielt er sich eine Weile still, dann versuchte er, sich durch das Schiebedach zu zwängen. Inzwischen hatte ich das Fahrzeug zentralverriegelt. Als ich mich nach dem Botanik-Lehrbuch von 1798 erkundigte, zuckte Jasper mit den Schultern. Wütend öffnete ich die Fahrertür, stieg ins Fahrzeug und donnerte mit Jasper aus der Braunschweiger Innenstadt und fuhr in Richtung Stadtrand, immer der Nase nach und landete schließlich im nördlich gelegenen Braunschweig-Timmerlah. Als ich stoppte, holte Jasper sein Diebesgut unter der Jacke hervor. Ich zerrte ihn trotzdem aus dem Fahrzeug und überließ ihn in Schlafanzughose und Filzpantoffeln der feuchten und nasskalten Landstraße mitten im November, wendete, gab Gas und raste wütend zurück in Richtung Innenstadt. Nach etwa zwei Kilometern bekam ich Mitleid mit Jasper, drehte um und lud ihn wieder ins Fahrzeug. Während seines Tramperdaseins war er über und über mit aufgepeitschtem Fahrbahndreck dekoriert. Auf dem Weg zur Innenstadt einigten wir uns so lala. Wenn Jasper gekonnt hätte, wäre ich garantiert sein Mordopfer geworden. Er gedachte nun, die ganze Wagenladung Bücher geschlossen zu übernehmen. Angeblich tat es ihm leid, dass er mich auf diese Weise linken wollte, war ich in seinen Augen doch ein ganz angenehmer Geschäftspartner und vor allem ein ordentlicher Ossi. In Wirklichkeit ärgerte sich Jasper darüber, mich nicht mit raffinierteren Mitteln über den Löffel balbiert zu haben. Ich hätte recht gehandelt, meinte er. Natürlich stachen ihm die Buddenbrooks, die Botanik und mindestens die Reiseführer von Karl Baedecker ins Auge. Die Baedecker Indien und Ägypten hatte ich mir selbst angeeignet und gedachte, diese Hasan Abdullah zum Kauf anzubieten, zumal der verfressene Jasper mit möglichst dreihundert Prozent Handelsspanne rechnete. Für die Buddenbrooks von Thomas Mann als Erstausgabe bot ein Braunschweiger Antiquar bis 4000 DM. Bei Übernahme der ganzen Wagenladung Bücher hatte Jasper nunmehr 3000 DM veranschlagt. Dieses Angebot fand ich unverschämt und menschlich zugleich, wollte doch der Schlafanzugbehoste, schlampige Jasper leben, wie der liebe Gott in Frankreich. Für einen Moment dachte ich

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