Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
trug unterm Arm eine Vierteljahresration Kittekat und fünf Liter 1,5% prozentige H-Milch aus dem naheliegenden Konsum. »Is jut für Katzen wejen die Fettprozente, weeste?«, sagte er zu Frau Wachsmuth. »Ich versteh’ die Welt nicht!«, antwortete sie. »Brauchste ooch nich!«, war die Antwort, »bin ja nich de Welt!« Mackenrodt war freilich nicht die Welt, aber in gewissen Situationen doch ganz umgänglich. Jetzt wurschtelte er ungeniert in Utensilien der Mieterin herum und fand irgendwo eine Automatenvisitenkarte, die jeder hergelaufene Hanswurst per Knopfdruck entwerfen konnte.
»Kiek ma! Da denkste Wunda wat un’s is doch’n richtijes Scheißding, diese Visitenkarte, damit kann jeder hochstapeln!«, sagte Mackenrodt und hielt mir seine Karte unter die Nase: »‘S is’n richtijes Comple... Complementkärtchen aus die Druckerei!«, stotterte er. Dabei vergaß Mackenrodt, dass jeder Scharlatan über solche tollen Legitimationsmittel ebenfalls verfügen konnte, wann immer er wollte. Ich kam plötzlich auf eine Idee: Die Karte trug weder Namen noch Adresse, war aber mit allem möglichen Schnickschnack bedruckt. Da sah man ein menschliches Haupt und darüber breitete die Mutter Gottes ihre Hände schützend aus. Rechts unten war eine Telefonnummer erkennbar »In der Not!«, stand gedruckt darunter. Ganz klar – es war die Rufnummer eines mobilen Telefons – wie sollte es anders sein, denn so wiegten sich alle Übeltäterinnen und Übeltäter in Sicherheit. »Hach!«, sagte Frau Wachsmuth, »da ist ja mein Lesezeichen! Neulich war eine Hauswirtschaftshilfe an der Wohnungstür, der angeblich übel geworden war. ‘S war so ‘ne Blondine mit blassem Gesicht – bestimmt war sie schwanger! Naja, ich habe sie in die Wohnung gelassen, weil sie um ein Glas Wasser bat. Dann hat sie geredet wie ein Buch und zum Schluss war sie mit ihren Gedanken ganz und gar bei meinen Ersparnissen. Ach Gott noch mal, die junge Frau wollte sicher wissen, wie’s um uns Rentner so steht, die auf eine Mindestrente angewiesen sind – das ist doch kein schlechter Zug! Komisch, das Glas Wasser hat die Dame dann doch nicht angerührt. Und wenn ich etwas benötigen würde, könnte sie alle wichtigen Dinge für mich erledigen, meinte sie. Ich nehme doch etwas für meinen Kreislauf ein und habe darum gebeten, sie möge mein Rezept einlösen. Dem Mädel habe ich fünfzig DM gegeben, obwohl sie für das Medikament nur sechs DM gebraucht hätte. Ich hatte es nicht anders. Die junge Frau meinte, sie müsse sich beeilen wegen der Öffnungszeiten der Apotheke und ist losgestiefelt. Mit der Visitenkarte, die Sie da in der Hand haben, hat mich die junge Frau für Ihren Selbsthilfeverein anwerben wollen und gemeint, sie müsse das Kärtchen aber wieder zurücknehmen, da es im Moment nur das einzige Exemplar sei!« »Und?«, fragte ich ungeduldig, »wo ist diese Frau jetzt?« »Na, sie ist seit einer Woche verschwunden. Ich brauch meine Tabletten dringend!« Die Einnahme dieser Medizin war eben seit einer Woche überfällig und der alten Dame ging es ohnehin schlecht. »Dem armen Ding ist bestimmt etwas passiert!«, meinte Frau Wachsmuth. Dabei klatschte sie verzweifelt in die Hände. In Wirklichkeit war die Blondine seit vierzehn Tagen überfällig. Ich riss Mackenrodt die Visitenkarte aus der Hand, weil ich auf eine Idee gekommen war. Leider hatte ich keine Möglichkeit, die Adresse mit dieser Rufnummer zu identifizieren. So fasste ich den Gedanken, wenigstens den Namen der Diebin durch anwählen zu ermitteln. Mackenrodt beschäftigte sich momentan mit einem der alten Kachelöfen. Dabei war er mit dem Kopf bis zur Hälfte ins Ofenloch gekrochen und hatte sein Gesicht mit Ruß dekoriert. Er war hell begeistert. Um diesen Ofen abzutragen, war natürlich die Genehmigung des Grundstückseigentümers erforderlich. Mackenrodt plante, noch am gleichen Tag Feuerung, also Kohle, Kohlenanzünder und auch Holz für den Beistellherd in der Küche heranzukarren. Damit bestand wieder die Möglichkeit, sich erneut Zugang zur Wachsmuth’schen Wohnung zu verschaffen. Vorher hatte er wohl noch einige Termine in der Eisenacher Straße ,abzurubeln’, so formulierte er es jedenfalls. Zum einen handelte es sich um die Teilauflösung eines Haushalts und zum anderen um die Bewertung zweier alter Vertikos. Letzten Endes war ich mit von der Partie. Wir fuhren also in die Eisenacher Straße. Die betreffenden Grundstücke lagen nebeneinander und waren für den Abbruch
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