Rache - die Handschrift des kleinen Mannes - Erlebnisse eines Leipziger Antiquitaetenhaendlers
Frau Almstädt hatte diese Wohnlage einst gewählt, da, wie sie meinte, durch die Leute weniger Dreck abgelatscht würde. Und weil ihre Kinder mit im Haus existierten, befürchtete sie auch keinerlei Repressalien in der Zukunft.
»Sie brauchen sich beim Schreiben keine Mühe zu geben! Wenn Sie keine ruhige Hand dabei haben, umso besser!«, sagte ich zu Frau Almstädt. Sie schmunzelte. »Natürlich, wenn es einer guten Sache dient, immer zu! Latein hammer in der Schule gelernt!«, sagte sie und schrieb und schrieb. »Toll!«, sagte ich. Nach drei Ansätzen meinte sie, dass sie aus der »alten Schule« stamme und vorliegendes Manuskript nicht schlechter hinbekommen würde, als es schon vorläge. Außerdem sei es mal etwas ganz neues, dass ein solch gekliertes Manuskript gut benotet wird! Ich fand das Äußere des Textes trotzdem zu akkurat und befürchtete, dass niemand auf den Inhalt hereinfallen würde:
Altershalber und wegen Umzugs billig abzugeben:
Eine Standuhr von 1840,
einen Biedermeier-Schreibsekretär,
zwei Käthe-Kruse-Puppen,
schöne, alte Ölbilder,
Meissner Porzellan, diverse alte Gläser,
gute Literatur usw.
Ich will kein Vermögen, doch schön wäre es, wenn diese Dinge in gute Hände kämen!
Hochachtungsvoll
Luise Almstädt, Gothaer Str. ...
Kein normaler Mensch würde dieses Angebot als bare Münze betrachten, aber die menschliche Gier nach Reichtum und Besitz sieht es anders. Mackenrodt und ich ließen ca. 100 Exemplare dieses Aushanges kopieren und platzierten sie in für mich wichtige Gegenden von Gohlis, vor allem in die Gothaer und Eisenacher, sowie in die Georg-Schumann- und Lützowstraße. Dabei dachten wir nicht daran, die Hausflure zu verwenden, sondern zweckten die Zettel gleich außen auf die Haustüren. Anschließend kramte ich das Komplimentkärtchen heraus, welches die als Hauswirtschaftshilfe getarnte Übeltäterin im Wachsmuthschen Haushalt verloren hatte. Ich versuchte mit dem Anwählen der Funktelefonnummer den Namen dieser Frau herauszubekommen. Nach dem fünften Versuch vernahm ich ein lang gezogenes, eher gelangweiltes Ja. Ich ließ einige Zeit verstreichen und startete einen neuen Versuch. Dieses Mal hörte ich ein Atmen am anderen Ende der Strippe. Die Fernsprechteilnehmerin harrte wohl des Textes, der nun gesprochen würde. Um kein Misstrauen zu erwecken, fragte ich einfach nach dem Abflussreinigungsdienst, Landsberger Straße. Ich schrie in den Hörer, heulte fast und simulierte die größte Havarie der Welt in einem Wohnhaus betagter Bürger. Dabei fragte ich, ob der Teilnehmer nicht etwa solch ein Gewerbe vertreten würde. Ich gab vor, dass ich die Funktelefonnummer von der Auskunft bekommen hätte. »Isch vertrete nüscht un niemanden – das hier is priwat! Belästigen Se misch nisch weiter!«, plärrte die Frau, dann war das Gespräch zu Ende. Die Mutter Gottes hatte also den Hörer auf die Gabel geworfen. Ich fand, dass die weibliche Trickdiebin ihren Job denkbar schlecht ausführte, hatte sie doch, wenn sie auch ihren Namen nicht preisgab, die ganze »Kiste« verraten. Ich verglich noch einmal die von mir gewählte Telefonnummer mit der auf der Visitenkarte – die Zahlen waren identisch.
Ich hoffte nun, dass der üble Fisch in unsere Köder an den Haustüren biss, bzw. auf unser Verkaufsangebot reagierte. Es vergingen einige Tage. In der Heinrich-Budde-Straße schlug wieder mal der Teufel in Menschengestalt zu. Es heißt doch so schön: Durst ist schlimmer als Heimweh! Eine junge Dame bat um ein Glas Wasser, grapschte jedoch eine Handtasche mit der Mindestrente einer betagten Bürgerin. Möglicherweise war das wieder mal die Handschrift unserer Mutter Gottes. Dann war es soweit. Einige Tage später, morgens in der Früh, schepperte die Klingel bei Luise Almstädt. Eine Frau, hagerer als hager, stand auf dem Trottoir und identifizierte sich als die Lebenshelferin aller Zeiten. »Ach, sie kommen wohl nicht wegen meines Verkaufsangebotes?«, fragte Frau Almstädt. Die junge Dame stellte sich dumm. Sie fragte ganz beiläufig, welche Dinge zu veräußern seien. Dabei schaute sie wie gebannt auf den Aushang an der Haustür und dann nach oben zum Fenster. »Liebes Kind«, rief Frau Almstädt nach unten, »bitte kommen Sie doch in einem viertel Stündchen wieder. Ich bin noch nicht ganz angezogen. Außerdem bin ich körperbehindert und brauch geraume Zeit, bis ich salonfähig bin!« »Das vorschteht mor doch! Wenn Se Hilfe brauchen, horchen Se droff, isch bin
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