Rache ist lavendelblau
sie zufrieden. Das kräftige, dunkelblonde, kinnlange Haar ohne weiße Strähnen war dicht, nur dass dieses in den letzten Jahren etwas von seinem - ehemals so intensiven - Glanz eingebüßt hatte. Ihre braunen Augen strahlten noch immer, sogar in dem Moment, als sie ihr Spiegelbild fragte, ob man ihren Krebs schon sehen könne.
„Nein, noch nicht!“, stellte sie erleichtert fest.
Die Türglocke schlug an und Heidrun entriegelte blitzartig das Schloss.
„Frau Hasiba, was führt Sie zu mir?“ Die Gattin des Hausmeisters, eine stattliche Person von ungefähr vierzig Jahren, stand etwas verlegen davor, erstaunt über das so rasche Öffnen.
„Ich hätte nur gerne gewusst, ob ich Ihren Buchsbaum im Stiegenhaus weiterhin gießen soll, oder ob wir ihn nicht doch auf die Terrasse stellen, damit er nicht verlaust.“
Heidrun bat die Frau herein. Seit einigen Monaten kam sie regelmäßig in Heidruns Wohnung. Die Frau des Hausmeisters arbeitete stundenweise als Altenpflegerin in einem nahen Heim, und nach Dienstschluss putzte sie einmal wöchentlich in Heidruns Haushalt.
„Sie sind die Einzige, Frau Doktor, bei der ich putze“, hatte sie einmal angebracht und dies als Privileg, als eine besondere Auszeichnung ihrer Arbeitgeberin, betrachtet. Heidrun war mit dieser Ansicht einverstanden, sie war froh, die Hasiba für sich gewonnen zu haben.
„Sagen S´ Frau Hasiba, würden Sie mich pflegen, wenn ich das einmal brauchen sollte?“, fragte Heidrun direkt und ohne Umschweife die Hausmeistersgattin, gleich nachdem sie Platz genommen hatten. Die Angesprochene schaute sie entgeistert an.
„Ich meine nur, wenn ich einmal nicht mehr kann. Frau Hasiba, ich habe Krebs, Brustkrebs.“
Fassungslos und mit halb geöffnetem Mund starrte die Besucherin, deren Kinn ein wenig zitterte, Heidrun an. „Nein, nicht wirklich, das gibt’s doch gar nicht, Frau Estermann“, entgegnete sie verwirrt murmelnd und wusste nicht recht, wohin sie in diesen Schrecksekunden blicken sollte.
„Kann ich auf Sie zählen, Frau Hasiba?“, drängte Heidrun die Verstörte zu einer Antwort.
Diese schaute - noch immer ungläubig - Heidrun jetzt direkt ins Gesicht. „Ja, ja, natürlich, können S‘ auf mich zählen, klar, wenn´s einmal so weit ist“, polterte sie ein wenig kurzatmig und hüstelte.
Heidrun wusste nicht viel über die Hausmeisterfamilie, nur dass sie vor vielen Jahren aus der Slowakei eingewandert und kinderlos geblieben war. Er betreute einige Wohnhäuser im Umkreis und hatte - ob seiner Fürsorge und Umsicht - einen guten Ruf. Frau Hasiba, immer und von allen nur „Hasiba“ gerufen, ging ausschließlich mit diesem Namen durchs Leben. „Hasiba“ klang nach Hasilein, das genügte den meisten.
Die beiden Frauen saßen noch lange bei einem Schnäpschen in Heidruns Wohnzimmer beisammen, so wie sie es auch nach der wöchentlichen Hausarbeit immer taten. Heidrun war es ein Bedürfnis, ihr Herz auszuschütten, umso mehr, als sie jetzt wusste, dass sie bei Bedarf eine Stütze haben würde. Das beruhigte sie sehr.
Die Hasiba knetete ihre Hände und schwieg betroffen.
*
Heidrun knipste die Lampe aus. Sie hatte heute ausnahmslos keine Lust zum Fernsehen und auch nicht zum Lesen, sie war erschöpft. Ihr Seidennachthemd spannte über der Brust, sie erschrak. „Ob meine Brust sich durch die Krankheit schon vergrößert hat? Da war doch die jährliche Kontrolle beim Frauenarzt, naja, nicht ganz“, gestand sie sich ein, „ich war schon ein paar Jahre überfällig, aber dass sich in dieser Zeit so viel verändern kann?“ Von innerer Unruhe geplagt, wälzte sich Heidrun am Bettlaken. Wie lange werde ich noch leben? Nein, die Kinder will ich nicht belasten, mein Gott, wär´ doch Conradin noch da. Scheiße, warum ich? Heilung aussichtslos, nein, ich lasse mich nicht quälen, ich nicht. Steht die Einkaufstasche noch im Vorzimmer? Egal, morgen, heute bin ich schon zu müde.
Bald fiel sie in einen unruhigen Schlaf, gemartert von vielen bösen Träumen.
Heidrun hatte, gleich nach dem Aufstehen, ihr Vorzimmer aufgeräumt und Röntgenbilder und Befunde in einer Schublade in ihrem Schlafzimmer verstaut. „Nie und nimmer will ich die Belege meiner Krankheit vor meinen Augen haben, nie und nimmer will ich diese noch einmal anrühren“, sagte sie sich.
*
„Annette, hast du Zeit? Ich würde gerne mit dir plaudern.“
Harmlos klang die Einladung an die beste Freundin, von der Heidrun wusste, dass sie sich gerne einladen ließ, besonders dann, wenn wieder
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