Rache ist lavendelblau
Conradin? Nein, so ein Blödsinn, so einen Schmarrn darf man gar nicht denken.
Annette war bald nachhause geeilt, ein Sturm war aufgekommen.
Der Wind peitschte einen Fensterladen zu und unterbrach jäh Heidruns Gedanken. Auf der Terrasse klirrte ein leerer Metallkübel, den eine Windböe umgerissen hatte, und diesen nun lustvoll über die Terracottafliesen vor sich her trieb.
„Wie damals in Italien“, dachte Heidrun. „Wie damals in Pienza, ich hätte früher zu Conradin hinunter fahren sollen“, seufzte sie, plötzlich von Erinnerungen überschüttet.
Zum Abendessen war sie mit Desider verabredet. Hab ich Lust mit ihm zu schlafen? Doch, ich hab´. Die Gesichtsmaske hab´ ich vergessen, egal, mit Gurken und Joghurt geht´s auch. Auf die Post hab´ ich auch vergessen. Conradin, du fehlst mir, bin ich ein Schwein?
Desider legte seinen Arm um Heidruns Schulter, als sie am Sofa Platz genommen hatten. Sie liebte seinen warmen Körper und ließ ihren Kopf an seine nackte Brust sinken, die der Bademantel freigab. Wie immer waren sie im Bett gelandet, wie immer war er stürmisch und leidenschaftlich gewesen. Sie genoss den frischen Geruch seiner Körpersäfte, die an ihr klebten und zögerte das Duschen - solange es ging - hinaus.
„Heidrun, du bist so still heute, was ist?“, er hob ihren Kopf hoch und blickte in ihre dunklen Augen.
„Nur erschöpft, du schaffst mich mehr denn je“, flüsterte sie und lächelte ihn dabei verschmitzt an.
Über ihr „Problem“ - ihre Krankheit nannte sie ab sofort „mein Problem“ - wollte sie mit niemandem sprechen, mit Desider schon gar nicht, der hatte seine eigene Geschichte; sein eigenes „Problem“. Desiders Frau - ein paar Jahre älter als er - litt ebenfalls an Krebs und das schon seit vielen Jahren.
„Ich werde verreisen, ich brauche ein bisschen Abwechslung“, sagte sie und stockte im Weitersprechen. Desider schwieg. „Ich wollte schon so lange nach Costa Rica in den Urwald. Der soll schöner sein als der in Panama, hohe Berge und auch viele Möglichkeiten zum Baden, die Stände dort sollen traumhaft sein“, schwärmte sie.
„Wann willst du denn los? Alleine?“
„Ich will Annette mitnehmen, vorausgesetzt sie bringt ihre Mutter in einem Heim unter. Der nächste Termin wäre in neun Wochen, ich würde mit dem Akademischen Reisedienst fahren, alleine organisieren mag ich nicht mehr - in meinem Alter.“
Desider lachte. „Alte Schachtel im Urwald“, feixte er, „pass´ auf, dass dich kein Affe vernascht.“ Heidrun griff unter seinen Bademantel und zwickte ihn an empfindlicher Stelle.
„Aua!“, brüllte er und gab ihr einen Klaps auf ihre vorwitzigen Finger.
*
Auf Reisen mit Annette
Das grüne Land breitete sich vor ihnen aus. Gestern waren sie mit dem Bus der lauten, quirligen Hauptstadt entkommen, heute schon waren sie in Nähe der Grenze zu Panama unterwegs. Waren sie noch vor einigen Stunden im Hochgebirge durch feuchte Nebelschwaden hindurchgetaucht, an grünen Almen und blühenden Bäumen vorbei, so umfing sie hier im Süden die feuchte Schwüle der Tropen.
„Wie seinerzeit in Thailand, nur ist es mir dort nicht so heiß vorgekommen“, sagte Annette und versuchte verzweifelt, ihre Schweißbäche einzudämmen.
„Thailand“, dachte Heidrun und versank in Träumerei. Sie dachte an Conradin und Desider, meist an beide gleichzeitig.
Die Reisegruppe war bunt zusammengewürfelt. Achtzehn Reiselustige, einige von ihnen gutbetuchte, ältere Ehepaare, die den Ruhestand schon erhascht hatten, drei allein reisende Damen mittleren Alters, ein jüngeres Paar, das sich als Biologen outete, zwei lustige, ältere Herren, deren Motivation zur Reise bis zum Schluss unklar blieb, außer dass sie an den einheimischen, dunklen Schönheiten interessiert waren, und Herr Fürnkrantz, der sich am ersten Abend als „Herr Theodor E. Fürnkrantz“ vorgestellt hatte. Das E. zwischen Vor- und Nachnamen stand für Ephraim, das hatte Annette bald herausgefunden, der auch das Interesse des „Herrn Ephraim“ an Heidrun sofort aufgefallen war.
„Du hast einen Verehrer, der hat nur Augen für dich“, lispelte sie Heidrun zu.
„Noch einen“, seufzte diese und verdrehte dabei die Augen. „Und so einen schönen obendrein!“ Ephraim trug stets einen weißen Panamahut zum hellen Leinenanzug.
„Die Schuhe passen nicht zu seinem Outfit, weiße Leinenschuhe wären da angebracht“, lästerte Heidrun, während sie und Annette den tiefgründigen Pfad zum Strand hinunter
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