Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
sich gern mit mir unterhalten. Ich nehme an, es geht um ihren Exmann, daher bin ich natürlich neugierig. Ich hoffe, sie ist noch da.«
Sie wusste nicht recht, warum sie Luke Hollins gegenüber so mitteilsam war. Außer natürlich, dass sie ihn mochte und dass ihr gefiel, wie er auf Haddas Auftauchen vor seiner Kirchentür reagiert hatte. Ihrer Meinung nach waren die meisten Geistlichen entweder Mängelwesen, die ihre unterentwickelte soziale Kompetenz dadurch ausgleichen wollten, dass sie eine besondere Beziehung zu Gott für sich beanspruchten, oder aber sie waren Sozialarbeiter in Frauenfummeln. Hollins passte in keine der beiden Kategorien. Er war ein sympathischer junger Mann, der noch nicht recht wusste, wohin er gehörte.
Vielleicht würde es ja seiner resoluten Frau gelingen, ihn auf den richtigen Kurs zu bringen.
Dafür waren Ehefrauen doch schließlich da, oder?
Sie hatte so ihre Zweifel, dass Wolf Hadda ihr da beipflichten würde.
Er sagte: »Ja, sie ist noch da. Ich hab gleich im Schloss angerufen, nachdem ich mit Mr Hadda telefoniert hatte. Sein Verschwinden über Weihnachten hatte die Familie offenbar in helle Aufregung versetzt. Völlig grundlos, natürlich. Daher war ich froh, ihnen versichern zu können, dass alles ganz legal und einwandfrei war.«
Sie brachte es nicht übers Herz, ihn daran zu erinnern, dass seine eigene »helle Aufregung« über Haddas Abwesenheit sie überhaupt erst veranlasst hatte, die weite Fahrt auf sich zu nehmen. Stattdessen sagte sie: »Und wie hat Mrs Estover die Neuigkeit aufgenommen?«
»Ich hab nicht direkt mit ihr gesprochen. Einer der Gäste war am Telefon, Mr Nikitin. Er sagte, die anderen wären alle schon ganz früh am Morgen zu den Stallungen gegangen, um sich ein neugeborenes Fohlen anzusehen. Er selbst macht sich wohl nichts aus Pferden. Aber er hat versprochen, es Mrs Estover zu sagen, wenn sie zurückkommt. Sie müsste inzwischen wieder da sein. So lange wird das ja wohl nicht dauern, sich ein Fohlen anzusehen, oder?«
»Kommt drauf an, ob man kaufen oder verkaufen will, vermute ich«, sagte Alva. »Dieser Mr Nikitin, ist der Russe?«
»Ich glaube ja. Ein entfernter Verwandter von Lady Kira, soweit ich weiß.« Er stockte kurz und sprach dann weiter: »Ich hatte den Eindruck, er hat sich ein bisschen in Mrs Estover verguckt.«
Alva lächelte über die altmodische Formulierung, von der sie annahm, dass Hollins sie verwendet hatte, weil er fürchtete, sie mit etwas Zeitgemäßerem wie Er ist scharf auf sie zu schockieren.
»Und Mrs Estover …?«
»Schwer zu sagen, was sie denkt. Aber ich bin ihr nur einmal kurz begegnet. Also, jetzt beschreibe ich Ihnen mal rasch den Weg …«
Sein Beschreibung war kurz und die Fahrt auch, und fünf Minuten später rollte sie durch ein ziemlich pompöses Tor. Die Zufahrt zum Schloss, eine von alten Eichen gesäumte Allee, war beeindruckend, ebenso wie die Wagen, die da in einer Reihe parkten. Ein burgunderroter Bentley Continental, ein himmelblauer Mercedes und ein schwarzer Range Rover – vielleicht gab es ja irgendwo um die Ecke eine Abstellmöglichkeit für graue Fiestas! Das Gebäude selbst jedoch wäre eine Enttäuschung gewesen, hätte Haddas Beschreibung sie nicht darauf vorbereitet. Auf das wuchtige Herrenhaus aus dunklem Granit, das weder Zinnen noch Wassergraben oder Fallgitter vorzuweisen hatte, traf die Bezeichnung Schloss nicht mal ansatzweise zu.
Dennoch, als sie aus dem Auto stieg und die imposante dreigeschossige Fassade hinaufblickte, fühlte sie sich irgendwie abgewiesen.
Die Haupttür öffnete sich, als sie darauf zuging, und ein Mann kam heraus. Er war Ende siebzig, Anfang achtzig, hatte eine glatt aus der Patrizierstirn nach hinten gekämmte graue Haarmähne und überhaupt ein Äußeres, für das jeder Regisseur eines römischen Historienschinkens die rechte Hand seines Drehbuchautors geopfert hätte.
Das musste Sir Leon sein, dachte sie. Es sei denn, die Herrschaften legten Wert auf Butler, die aussahen wie ihre Doppelgänger.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Alva Ozigbo. Mrs Estover hat mir eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass sie mich gern sprechen würde.«
Die Behutsamkeit ihrer vorsichtigen Ausdrucksweise war offenbar vergebliche Liebesmüh. Der Mann betrachtete sie so verständnislos, dass sie sich schon fragte, ob sie die Wegbeschreibung des Vikars falsch verstanden hatte. Vielleicht gab es eine halbe Meile weiter doch ein richtiges Schloss mit Wassergraben
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