Racheakt
Freundin besprochen haben.«
Es entstand eine lange Pause in der Laura ihr Taschentuch dehnte, verknotete und verdrehte. Sie sah die beiden Ermittler nicht an, trat an das Fenster zum Park und starrte in die graue Dämmerung hinaus.
»Laura?« Peter Nachtigall versuchte, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Bei Jule war das ganz ähnlich. Unvermittelt schien sie sich aus dem Hier und Jetzt zu verabschieden und driftete ab. Manchmal beneidete er sie ein wenig um diese Fähigkeit.
Das Mädchen seufzte, drehte sich um und setzte sich wieder in den Sessel gegenüber der Couch.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das erzählen soll!«, stieß sie plötzlich gequält hervor.
»Weil du Anna versprochen hast nicht darüber zu sprechen?«, mutmaßte Albrecht Skorubski.
»Nicht nur das – es hört sich auch wie ein blödes Vorurteil an und ich will auch niemanden in Schwierigkeiten bringen – schon gar nicht jemanden, der sich selbst nicht dagegen wehren kann. Wenn ich Ihnen jetzt einen Namen nenne, dann ziehen Sie doch gleich los und verhaften den armen Kerl. Die üblichen Verdächtigen, eben«, sie begann wieder leise zu schluchzen.
»Wir wissen noch nicht viel über den Hintergrund der Tat. Und solange wir den Täter nicht mit Sicherheit kennen, müssen wir natürlich allen Hinweisen nachgehen. Stell dir mal vor, wir hören schon bei den ersten Hinweisen auf in alle Richtungen zu ermitteln und dann stellt sich später raus, dass der erste Verdächtige es doch nicht war – dann ist der wahre Täter vielleicht gar nicht mehr zu finden. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, wir verhaften nicht einfach drauflos!« Doch Laura reagierte auf die pädagogischen Bemühungen eher ungnädig.
»Hören Sie bloß auf mit mir wie mit einem kleinen Kind zu reden. Sie brauchen mir die große, weite Welt wirklich nicht zu erklären! Ich bin schließlich keine Zehn mehr.«
»Du willst niemanden belasten, der mit der Angelegenheit vielleicht nichts zu tun hat. Das verstehe ich natürlich. Aber was ist, wenn derjenige doch damit zu tun hat und vielleicht auch andere junge Frauen bedroht? Nur wenn du mit uns darüber sprichst, können wir klären, ob es eine Verbindung gibt oder nicht. Wenn nicht, dann passiert ihm auch nichts.« Wieder schwieg Laura, zog die Nase hoch und starrte auf ihre Hände, die noch immer das Taschentuch kneteten. Diesmal ließen die Ermittler ihr mehr Zeit. Die Geräusche aus dem Haus waren plötzlich wieder deutlich wahrzunehmen, die laute Rockweihnachtsmusik aus dem Nebenzimmer ebenso, wie der Streit aus einer der unteren Wohnungen. Über ihnen schien eine Familie mit Hund zu wohnen. Deutlich war das Scharren der Krallen zu hören, wenn der Hund durch die Wohnung tobte. Zuerst das dumpfe Aufschlagen eines weichen Balls, der geworfen wurde und dem der Hund offenbar mit Begeisterung folgte. Als Laura unvermittelt zu sprechen begann, zuckten die beiden Männer auf der Couch zusammen.
»Also«, sie stockte und begann nach einem Räuspern erneut. »Also, Anna Magdalena hat Angst vor Hansi gehabt. Der Typ wohnt da hinten bei ihr am Badesee. Schon im letzten Sommer war er immer irgendwie in der Nähe, wenn wir am See gelegen oder dort gebadet haben. Aber er hielt Distanz, beobachtete uns aus der Ferne. Später ist er dann etwas zudringlicher geworden und Anna fühlte sich manchmal direkt belästigt. In letzter Zeit hat er sogar angefangen an der Haltestelle auf sie zu warten, und ihr auf dem Weg nach Hause hinterher zu trotten.«
»Hat der Hansi auch einen Nachnamen?«
»Haben wir das nicht alle?«, fragte sie spitz zurück.
Warum waren Gespräche mit Mädchen in diesem Alter nur so schwierig, dachte Nachtigall und unterdrückte einen gequälten Seufzer.
»Klar! Du heißt Hellberg, mein Kollege heißt Skorubski und ich Nachtigall. Und wie heißt Hansi?«, versuchte er wieder anzuknüpfen, doch nur mit mäßigem Erfolg.
»Weiß ich nicht, so ein Allerweltsname eben, Müller oder Schmidt oder so. Aber der Hansi ist geistig behindert – deshalb wollte ich ihn auch nicht nennen. Weil die Polizei immer gleich meint, wenn einer geistig behindert ist, dann hat er sicher Dreck am Stecken.«
Nur gut, dass die Jugend so völlig ohne Vorurteile aufwachsen konnte, dachte Peter Nachtigall zynisch. Nach außen immer schön tolerant – doch tief im Innern voller Ängste und Fehleinschätzungen. Er hätte mehr von dieser Generation erwartet, die nun unbeeinflusst von politisch-pädagogischen Einflüssen aufwachsen
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