Racheakt
mich aber darum, wenn Ihnen die konkreten Zahlen wichtig sind, Herr Kollege. Tatsache ist, dass bei Vorliegen einer psychischen Störung der Wiederholungsdrang oder gar die Wiederholungsnotwendigkeit größer sind, wenn die Täter ohne Therapie aus dem Regelvollzug entlassen werden. Beim Maßregelvollzug findet ja immerhin der Versuch einer therapeutischen Aufarbeitung der Motive und Empfindungen statt«, belehrte Dr. Lund und der Kollege Höffner nickte.
»Solange es möglich ist, dass in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft Politiker in aller Öffentlichkeit die Zwangskastration von Sexualstraftätern fordern dürfen, ohne dass es wütende Proteste hagelt, solange wird es auch schwierig bleiben über Verbesserungen der Therapie im Maßregelvollzug zu diskutieren«, meldete sich Frau Dr. Jung wieder zu Wort.
»Wer hat das gefordert?«, fragten mehrere Stimmen aus der Runde.
»Neben einigen hochrangigen Politikern auch ein Vertreter der Kirche, eine Elterninitiative. Und viele andere Bürger auf der Straße sind auch dieser Meinung. So wie sie auch immer wieder mal die Todesstrafe für Sexualstraftäter fordern«, ergänzte Frau Dr. Jung.
»Was erwarten Sie denn? Zurzeit wird ja sogar die Möglichkeit diskutiert, Polizisten in bestimmten Fällen zu gestatten Folter anzudrohen.« Prof. Marburg klang resigniert. »Wir bemühen uns doch schon seit so vielen Jahren die Öffentlichkeit zu sensibilisieren – doch eine Sexualstraftat ist ein so elektrisierendes Thema, besonders verbunden mit Missbrauch von Kindern, dass wir die Leute kaum mehr argumentativ erreichen können.
Verständlicherweise geht ihnen der Schutz von Frauen und Kindern über die Entlarvung der Tätermotive und Therapie. Sie haben oft das Gefühl, der Täter käme im Vergleich zu dem Leid, das er verursacht hat, zu gut weg. Gerade wenn Kinder die Opfer sind.«
Frau Dr. Jung lehnt sich zurück und schloss die Augen. Hinter ihrer Stirn hämmerte ein heftiger Kopfschmerz, Lichtblitze zuckten hinter ihren Lidern. Sie kannte das schon – es waren die Vorboten einer heftigen Migräne und die konnte sie jetzt gar nicht brauchen. Sie würde versuchen müssen sich innerlich zu wappnen, um weiteren Gesprächen mit der Polizei gewachsen zu sein. Es musste ihr einfach gelingen, die Ermittler von der Unschuld Günter Graberts zu überzeugen! Auch die Presse würde sich mit Vehemenz auf sie stürzen, Prof. Marburg hatte Recht. Vielleicht konnte sie mit einem vernünftigen Journalisten ein Gespräch führen, das wirklich aufklären konnte. Sie seufzte leise. Das würde nicht leicht werden, wusste sie. Dafür versprach die reißerische Thematik viel zu hohe Auflagenquoten für die Zeitungen, an Informationen, die ein anderes Bild auf den Verdächtigen werfen konnten, war man zu Beginn dieser Ermittlungen wahrscheinlich nicht wirklich interessiert. Aber sie konnte Günter Grabert doch nicht im Stich lassen. Schließlich hatte er niemanden außer ihr, der sich für ihn einsetzen würde. Wie mochte er sich jetzt fühlen, unschuldig im Gefängnis, verdächtig einer schrecklichen Tat, die er nicht begangen haben konnte.
Entschlossen drehte sie sich zu Prof. Marburg um, flüsterte ihm eine Entschuldigung ins Ohr und verließ die Gutachterrunde um sich auf den nächsten Tag vorzubereiten.
Wie konnte sie ihm helfen, wer würde sich ihre Erklärungen anhören wollen? Günter Grabert hatte tatsächlich verdammt schlechte Karten!
16
»So, was haben wir?«
»Frau Dr. Jung hält ihren Patienten für unschuldig. Aber vielleicht muss sie das auch. Wäre für sie ja vielleicht gar nicht so einfach mit dem Bewusstsein zu leben, dass sie einen Sexualstraftäter wieder zur Freiheit verholfen hat«, begann Albrecht Skorubski in aggressivem Ton.
Michael Wiener sah ihn überrascht an und Nachtigall runzelte die Stirn. War sein Kollege noch immer sauer wegen der Abfuhr, die er sich bei der Psychologin geholt hatte?
»Haben wir denn heute überhaupt etwas gefunden, das uns vermuten lassen könnte, Grabert habe das Opfer doch gekannt?«
»Nein, in der Wohnung haben wir natürlich Faserspuren gesichert, aber die Auswertung wird noch dauern. Außerdem haben wir keine Vergleichsfasern von allen Kleidungsstücken, die sie getragen hat«, informierte Wiener.
»Fotos, Briefe, Notizzettel im Müll …«
»Alles gecheckt. Da isch nix dabei g’wese.«
»Wenn wir bei ihm keinen Hinweis finden, gibt es keinen Grund für uns ihn weiter festzuhalten.«
»Wir können doch nicht
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