Racheakt
hören, ob Sie mit Ihrer Entscheidung noch immer zufrieden sind.«
»Danke. Ich fühl mich eigentlich ganz wohl.«
»Keine Schwierigkeiten wegen Ihres Dialekts?«
»Ha, scho. Manchmal. Ma hört ebe, dass ich net vo hier bin. Und da krieg ich scho auch mal so einen bissigen Kommentar ab. Aber es geht scho.«
»Hmm. Kommentare hier in der Dienststelle? Sollte ich da etwas unternehmen?«
»Nein, danke. Da muss ich schon selber durch. Ich hab ja g’wusst, dass es nicht einfach wird. Isch alles noch im grüne Bereich. So das übliche G’rede halt: Na, du kriegst wohl Westgehalt plus Buschzulage, damit du uns mal zeigst, wie man so böse Verbrecher fängt, ja? Oder: Oh, endlich hat man uns einen von diesen Schlaumenschen aus dem Süden der Republik gesandt. Da können wir ja nicht dankbar genug sein.«
Die beiden letzten Sätze hatte der junge Mann höchst affektiert betont, sodass für Nachtigall kein Zweifel an der Identität des Sprechers bestand. Bernd Jülich von der Schutzpolizei. Vielleicht würde er sich den doch mal bei einer günstigen Gelegenheit vorknöpfen, geschickt, sodass es keinem anderen auffiel.
»Michael, ich denke, Sie wissen, dass ich große Stücke auf Sie halte. Und dieses blöde und vollkommen überflüssige Ost-Westgeharke ist mir zuwider. Wir haben gerade fünfzehn Jahre Wiedervereinigung gefeiert. Ich denke, da sollten wir das doch längst hinter uns gelassen haben.«
»Das isch durch den Wahlkampf g’komme. Es wird sich auch wieder beruhige.«
»Ihre Freundin studiert noch gerne in Berlin? Biologie, nicht wahr?«
»Ja. Mit Feuereifer. Unsere Wohnung sieht schon aus wie ein botanisches Institut. Aber das ist okay. Bloß im nächste Semester kommt no die Fauna dazu. Da bin ich jetzt schon g’spannt, was sie mir dann so mitbringt. Einen weißen Löwen vielleicht. Zur Handaufzucht oder ein Gorillababy.«
Nachtigall lachte.
»Na, gut. Sollten irgendwo Schwierigkeiten auftauchen, Michael, wenden Sie sich ruhig gleich an mich. Ich möchte schon, dass Sie sich hier bei uns wohl fühlen«, sagte er und kam sich fast ein wenig lächerlich vor. Der junge Mann würde seinen Weg schon gehen.
»Eine Frage hätt ich schon noch: Was isch eigentlich aus meinem Vorgänger g’wore? Die Kollege tuscheln nur.«
»Ihr Vorgänger im Team lebt jetzt auf den Bahamas. Und die Kollegen tuscheln, weil er die Frau eines Erpressers geheiratet hat, deren Mann bei einer Schießerei ums Leben kam. Es ist aber nicht zu belegen, dass die beiden nun erpresstes Geld dort verjuxen – obwohl die Kollegen natürlich davon ausgehen. Außerdem hat die angehende Gattin wohl einer Freundin erzählt, sie werde zu dieser Ehe genötigt. Und nun glauben einige, er habe Beweise verschwinden lassen und dann die frisch gebackene Witwe erpresst. Sie musste ihn heiraten, um das Geld behalten zu können. Wir werden die Wahrheit wahrscheinlich nie erfahren. Und so kursieren hier die unglaublichsten Geschichten.«
Michael Wiener nickte nachdenklich.
»Des isch dann wohl des, was man eine Risikobeziehung nenne würd, oder? S’gibt ja viele Haiunfäll vor de Bahamas«, murmelte er und schloss die Tür leise hinter sich.
»Sicher ein schwerer Schlag für Nachtigall«, erzählte er später seiner Freundin. »Ich denk mir, er leidet ganz schön d’runter, wenn jemand sei Vertraue derart missbraucht un ich denk g’nau so isch ’s g’laufe. Ein echter Gutmensch. Er hat ei großes Herz und heit hat i fascht den Eindruck vo ihm adoptiert worre z’sein.«
17
5. November
Es ist wirklich erstaunlich, wie einfach es mir gemacht wird. Ich beobachte die Schritte, kenne die Wege all dieser Schönheiten – und sie ahnen nicht einmal etwas von mir.
Dabei werde ich in Kürze der wichtigste Mensch in ihrem bisher sinnentleerten Leben sein. Denn ich werde ihr Schicksal besiegeln. Und obwohl ich eine solch wichtige Rolle übernommen habe, nimmt niemand Notiz von mir. Aber das wird sich ganz schnell ändern.
Mein ist euer Leben!
Mir gebührt die Anerkennung, denn mein Weg ist es, der euch Wichtigkeit verleihen wird.
Ich weiß jetzt, dass ich ihn damals nicht hätte davonkommen lassen dürfen. In meinen Träumen sehe ich deutlich, was ich dadurch bewirkt habe: Eine Fehlorientierung der gesamten Gesellschaft. Jede Nacht höre ich ihn an meiner Tür vorbei schleichen. Der Hund, den er dabei jedes Mal aufweckte, freute sich speichelleckerisch und wedelte mit dem Schwanz, wenn Herrchen vorbei kam. Nie werde ich dieses Geräusch
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