Racheakt
ich ja genau das passende Thema erwischt!
»Also, wenn ich das richtig verstanden habe, plant die Regierung das bestehende Gesetz zur Unterbringung im Maßregelvollzug dahingehend zu verschärfen, dass zukünftig auch Täter in eine Art Sicherheitsverwahrung genommen werden können, die zum Zeitpunkt der Tat voll zurechnungsfähig waren und deshalb im Strafvollzug untergebracht wurden, wenn die Gefahr einer Wiederholung der Tat besteht«, begann Dr. Feldmann ziemlich umständlich und sah sich in der Runde um. Von allen Seiten wurde vorsichtig zustimmend genickt. »Dann tun sich für mich gleich drei Fragen auf:
1. Wer entscheidet über die Einweisung – das Gericht, ein Gremium, ein Gutachter?
2. Wer wird in dieser Einrichtung die Überwachung übernehmen? Pfleger, Wärter, therapeutisch geschultes Personal?
3. Wie sieht es mit Therapieangeboten aus und wer überprüft den Fortschritt?«
»Genau!«, warf Dr. Zaum, Psychotherapeut aus Potsdam, ein. »Da haben wir doch schon wieder die gleichen Probleme, wie wir sie schon aus dem heute praktizierten Maßregelvollzug kennen. Und weiß man denn, wie viele von diesen Straftätern in solch einer »Wohngemeinschaft« untergebracht werden sollen? Da lauert schließlich ein massives Gewaltpotenzial.«
»Genau. Schließlich haben wir es bei dieser Sicherheitsverwahrung nicht ›nur‹ mit Vergewaltigern zu tun – einige der Straftäter werden Mörder oder Mörder und Vergewaltiger sein und all diese Insassen warten letztlich nach Einschätzung des Gerichts nur auf eine Chance zur Wiederholung ihrer ungeheuren Straftaten.«
»Tatsache ist, dass die Rückfallquote bei zum Beispiel Serienvergewaltigern relativ hoch ist. Das liegt bedauerlicherweise oft genug daran, dass sie während der Verbüßung ihrer Strafe nicht ausreichend therapiert werden konnten. Zum einen, weil zu wenig Zeit zur Verfügung stand, zum anderen aber auch, weil die Therapie verordnet und nicht vom Patienten gesucht wird. Dadurch entsteht eine miserable Motivationslage beim Betroffenen. Und manchmal begutachtet ein Therapeut den Straftäter, ohne von dessen wirklichen Beweggründen etwas zu ahnen, kommt zu dem Ergebnis, der Patient sei entlassungswürdig und der Betroffene hält sich aber für so gefährlich, dass er lieber bleiben möchte. Wie sollen wir solche Fälle denn handhaben?« Prof. Marburgs ruhige, tiefe Stimme füllte den ganzen Raum.
»Der Fall Schmoekel ist doch ein prima Beispiel für eine eklatante Fehleinschätzung. Erst stritten sich die Prognosegutachter vor Gericht und später in den Medien. Und der Richter, der letztendlich die Entscheidung getroffen hat, der meinte einfach, er habe sich eben auf das Gutachten verlassen. Ganz toll!«, ereiferte sich Prof. Haas und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Na, wir brauchen ja nur den jüngsten Fall zu sehen. Günter Grabert«, Dr. Zaum sah die Kollegin Jung entschuldigend an und nickte ihr beschwichtigend zu. »Der wurde doch auch aufgrund solch eines Gutachtens entlassen – und dann geht der her und mordet wieder.«
Frau Dr. Jung spürte die Hand Prof. Marburgs auf ihrem Arm und schwieg zu der Bemerkung des Kollegen.
»Tatsache ist doch, dass es genug Serientäter gibt, die zehn und mehr Morde begehen können, bevor die Polizei sie überhaupt als Täter in Betracht zieht. Etwa 27% der verurteilten multiplen Sexualstraftäter waren schließlich vorbestraft: wegen eines Tötungsdelikts. Andere waren schon wegen exhibitionistischen Verhaltens, Vergewaltigung oder unsittlicher Übergriffe bei der Polizei bekannt und oft genug auch schon verurteilt worden. Würden Polizei und Justiz effektiver arbeiten – zum Beispiel zuverlässiger erkennen, von welchen Tätern eine Wiederholungsgefahr mit oder ohne Steigerung der gezeigten Aggressivität ausgeht, gäb’s weniger Opfer. Täter würden frühzeitig einer Therapie zugeführt und die Chancen auf eine erfolgreiche Rehabilitation wären größer. Gerade der Fall Grabert zeigt doch wieder ganz deutlich, dass lieber auf den Gutachter geschimpft wird, als auf die Polizei oder den Richter, der ihn entlassen hat. Dabei wäre es ja wohl die Aufgabe der Polizei solche Täter – Finanzdecke hin oder her – auch in Freiheit ein bisschen im Auge zu behalten.«
Jetzt würde sie sich doch äußern müssen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, von allen angestarrt zu werden. Ihr Herz raste, wie immer, wenn sie vor Publikum sprechen sollte, ihre Hände wurden unangenehm feucht. Sie atmete tief
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