Rachedurst
das taten. Ich schaltete meine Ohren auf Durchzug und die Augen ein, um festzustellen, wie unterschiedlich die beiden körperlich waren. Derrick Phalen war ein schlanker, kleiner Mann mit kurz geschorenem Haar und kantigem Kiefer. Ian LaGrange war viel größer und beträchtlich breiter. Ehrlich gesagt fiel mir das Wort »fett« ein. Ebenso wie das Essen-so-viel-man-will-Büfett im Caesar’s Palace in Las Vegas.
Natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, dass Ian LaGrange Ian LaGrange war.
»Oh, tut mir leid. Ian, das ist Nick Daniels.« Phalen war plötzlich eingefallen, dass er uns noch nicht vorgestellt hatte.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte LaGrange, als wir uns die Hände schüttelten.
Phalen wandte sich mir zu. »Ian ist der für die Abteilung Organisiertes Verbrechen zuständige stellvertretende Generalstaatsanwalt. Oder, wie ich ihn gerne nenne, der Pate.«
»Das klingt irgendwie gut, muss ich zugeben.« LaGrange lächelte durch seinen zotteligen Bart. »Wohin wollt ihr beide?«
»Wir gehen nur schnell was essen«, antwortete Phalen. »Gleich gegenüber.«
LaGrange blickte an ihm hinunter. »Hast du deine Weste an?«, fragte er. »Derrick?«
»Wir gehen nur über die Straße«, wiederholte Phalen.
»Ja, und Lincoln ging nur ins Theater. Geh und zieh sie an.«
Phalen warf LaGrange einen aufgebrachten Blick zu wie ein Jugendlicher, der von seinem Vater zusammengestaucht wird.
»Weste?«, fragte ich.
»Kugelsicher«, erklärte Phalen, bevor er sich umdrehte, um in sein Büro zu gehen. »Bin gleich zurück.«
Moment mal. Der Kerl brauchte eine kugelsichere Weste, um über die Straße zu gehen? Wo war dann meine?
»Hey, wir können uns auch was kommen lassen!«, rief ich ihm nach. Es klang lustig, aber ich wollte echt keinen Witz machen.
»Keine Sorge, das ist nur die Regel hier«, versuchte LaGrange mich zu beruhigen. »Es wurde noch nie ein Mitarbeiter unserer Abteilung überfallen.«
Ich wollte schon sticheln, dass es immer für alles ein erstes Mal gab, doch ich verkniff es mir. Ich hatte diesen Kerl eben erst kennengelernt. Ich kannte weder seinen Sinn für Humor, noch wusste ich sonst irgendetwas über ihn. Abgesehen von seiner Größe.
»Und in welchem Bereich arbeiten Sie, Nick?«, fragte er. Sehr abgebrüht und beiläufig.
Oh, äh, jetzt aber vorsichtig sein.
»Ich bin Schriftsteller«, antwortete ich.
»Echt? Was schreiben Sie?«
»Meistens Artikel. Ich arbeite für den Citizen. Schon davon gehört?«
»Klar. Haben Sie deswegen einen Termin bei Derrick?«, fragte er weiter. »Um einen Artikel zu schreiben?«
In seiner Stimme schwang keine direkte Sorge mit, doch ich wusste, was gemeint war, wenn ich es hörte. Natürlich stellte er mir diese Fragen nicht, nur um ein Pläuschchen zu halten.
Und ich wollte keine Antwort geben, die Phalen in irgendwelche Schwierigkeiten bringen könnte.
»Nein. Derrick hilft mit Hintergrundinformationen zu einem Roman aus, an dem ich schreibe«, log ich. »Zeugnisverweigerungsrecht und solche Sachen.«
»Echt? Manchmal werden wir bei den Alex-Cross-Büchern um Rat gefragt.«
»Hab noch keins von denen gelesen«, sagte ich.
Ich blickte LaGrange eingehend an, während er nickte, und war froh, als er rasch das Thema wechselte. Er wollte wissen, in welches Restaurant wir gehen würden.
»Das weiß ich eigentlich gar nicht«, musste ich zugeben.
Er schien mir zu glauben. Und soweit ich sehen konnte, merkte er auch nicht, dass ich ihn wegen des Grundes, warum ich hier war und mit Phalen sprechen wollte, angelogen hatte.
Er hatte mir die Geschichte mit dem Roman abgekauft.
Zumindest dachte ich das.
Es würde sich allerdings zeigen, dass Ian LaGrange genau wusste, was ich vorhatte. Am meisten würde mich allerdings überraschen, wie er davon erfahren hatte.
Wie hatte sich Phalen höchstpersönlich ausgedrückt?
Verdammte Scheiße!
Und das war noch längst nicht alles.
49
Derrick Phalen kehrte nach dem Mittagessen mit Nick Daniels in sein Büro zurück und starrte nur die weiße Deckenverkleidung über seinem Schreibtisch an. Das tat er zwanzig Minuten lang ohne Pause. Er musste viel verdauen, wobei die Pasta fagioli nicht der schlimmste Brocken war. Auch nicht die sehr interessante Geschichte, die ihm Nick Daniels gerade aufgetischt hatte.
»Klopf, klopf«, hörte er eine Stimme.
Automatisch wandte sich Phalen Richtung Tür, auch wenn dies nicht nötig war. Er wusste, es war Ian LaGrange, und das merkte er nicht nur an der
Weitere Kostenlose Bücher