Rachedurst
allzu vertrauten Baritonstimme seines Chefs.
Nein, er hatte erwartet, dass der Pate früher oder später hereinschaute. Eher früher.
»Hey, Ian, was gibt’s?«
»Nicht viel«, antwortete LaGrange. »Wie war dein Mittagessen mit dem Schriftsteller?«
Phalen verdrehte die Augen zur Decke. »Frag nicht. Ich kann nur sagen, dass ich das letzte Mal einer Freundin einen Gefallen getan habe.«
»Warum. Was meinst du?«
»Dieser Typ vom Fahrstuhl schreibt für den Citizen. Um seiner Redakteurin einen Gefallen zu tun, wollte ich ihm Infos geben für einen Roman, an dem er arbeitet. Allerdings arbeitet er an gar keinem Roman.«
»Ich kann dir nicht folgen. Warum war er dann da?«, wollte LaGrange wissen.
»Es war ein Trick«, erklärte Phalen. »Der Kerl wollte mir
weismachen, dass nicht Eddie Pinero den Mord an Vincent Marcozza in Auftrag gegeben hat. Totaler Quatsch!«
»Willst du mich verarschen?«
»Ich wünschte, es wäre so. Der Kerl ist echt ein Spinner mit seiner Verschwörungstheorie. Ich hatte das Gefühl, mit Oliver Stone am Tisch zu sitzen.«
LaGrange lachte. »Wenn also nicht Eddie Pinero den Mord in Auftrag gegeben hat, wer seiner Meinung nach dann?«
»Das ist der Schwachpunkt. Er weiß es nicht.«
»Jesses, lass mich raten: Er wollte, dass du ihm hilfst, das herauszufinden.«
»Genau«, bestätigte Phalen.
»Und was hast du ihm gesagt?«
»Eine sehr höfliche Version von ›Erzähl deinen Scheiß jemand anderem, du Wichser‹. Was hätte ich sonst tun sollen?«
»Was für ein Idiot.« LaGrange tippte an seine imaginäre Kappe. »Halte dich von dem Typen fern, ja? Schriftsteller wie der wissen nur, wie man ›andere in Schwierigkeiten bringen‹ buchstabiert.«
»Wird gemacht.«
Als LaGrange davonschlenderte, lehnte sich Phalen auf seinem Stuhl zurück und blickte wieder an die Decke. Langsam atmete er aus.
Die ganze Zeit über hatte er den Atem angehalten und gehofft, LaGrange würde ihm glauben.
Es war nicht leicht gewesen.
Verdammt, nein. Ian LaGrange – den Paten – führte man am besten nicht an der Nase herum. Man hatte das Gefühl, zu ZZ Top auf einem Drahtseil zu steppen.
Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was Phalen als Nächstes vorhatte.
50
»Oh, Mann, ich kann nicht glauben, dass ich das hier tue«, murmelte Phalen, während er kurz vor Mitternacht den leeren, dunklen Gang der Abteilung Organisiertes Verbrechen entlangschlich.
Aber natürlich konnte er glauben, was er tat. Er wusste ja auch, warum er es tat.
Wenn er in den fast drei Jahren in dieser Abteilung etwas gelernt hatte, dann dem Motto zu folgen, das seine Familie der Staatsanwälte mit den Mafiafamilien gemein hatte, die sie zur Strecke bringen wollten: Traue niemandem.
Auch dem Paten nicht.
Selbstverständlich konnte man in dieser Abteilung nicht arbeiten, ohne leicht paranoid zu werden. Für Phalen war die Geschichte mit der kugelsicheren Weste Beweis genug.
Sich wegen der Feinde aus den Reihen der Mafia Sorgen zu machen war eine Sache. Sich wegen der Leute aus den eigenen Reihen Sorgen zu machen – dass sie nicht loyal waren oder, schlimmer, einen am Schlafittchen packen wollten – war etwas völlig anderes.
Auftritt Ian LaGrange.
Hätte Phalen nicht seine Kaffeetasse umgekippt, wäre er nie auf die Idee gekommen, dass unter der Eingabetaste seiner Tastatur eine Wanze klebte. Als er sie entdeckte hatte, bestand für ihn kein Zweifel, von wem sie stammte.
Er hatte nur keinen Beweis dafür.
Deswegen ließ er die Wanze, wo sie war.
Phalen ging seiner Arbeit mit dem Wissen nach, dass LaGrange jederzeit alles hören konnte, was in seinem Büro
passierte. Für jemand anders hätte das eine schreckliche Belastung bedeutet – immer auf seine Worte achten, sich immer wie der gute Soldat verhalten müssen. Phalen allerdings hatte das Gefühl, er würde jetzt schon die Antworten auf zukünftige Prüfungsfragen erhalten.
Er wusste immer, in welcher Situation er welche schlauen Dinge sagen musste. Er hatte immer ein wachsames Auge.
So auch am Nachmittag, als er Nick Daniels gefragt hatte, ob er Pasta fagioli mochte. Er hatte nur das Büro verlassen und mit Nick unter vier Augen reden wollen.
Die darauf folgende Überraschung hatte wie ein Paukenschlag gewirkt.
Der hünenhafte Ian LaGrange war den Flur entlang auf sie zugestürmt. Phalen hatte sofort gewusst, dass dieses scheinbar zufällige Treffen am Fahrstuhl kein Zufall gewesen war.
LaGrange hatte sich sehr interessiert an Nick Daniels und
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