Rachedurst
dass er so geendet hatte. Am Morgen war noch alles ziemlich vernebelt, und das blieb so, bis mir ein mehr als starker Kaffee und eine kalte Dusche den ersten klaren Gedanken verschafften.
Laut Thomas Ferramore war ich nicht mehr beim Citizen beschäftigt. Einfach so hatte ich plötzlich eine tolle, wahrscheinlich die beste Stelle meines Lebens verloren. Mit formeller Kündigung. Rausgeschmissen, weil ich das Richtige getan hatte.
Doch ich hatte etwas Dringendes zu erledigen. Ich musste versuchen, eine unmögliche Mission zu erfüllen.
Bewaffnet mit einer Adresse und ein paar hässlichen Polizeifotos mit freundlicher Genehmigung von Hoodie machte ich mich auf den Weg in die South Bronx, um nach Sam Tagaletto zu suchen. Ironischerweise wohnte er keine sechs Straßenblocks vom Yankee-Stadion entfernt. War dies der Grund, warum er und Dwayne sich kennengelernt hatten?
Tagalettos Wohnung lag im ersten Stock eines baufälligen Eckhauses, dessen Backsteine zu zerbröseln schienen, sofern sie noch nicht herausgefallen waren. Diesem Kerl war der Augenschein offenbar nicht so wichtig.
Oder denjenigen, die dieses Gebäude betraten.
Hier gab es nicht nur keine Klingelanlage, die Haustür wurde – womit auch sonst? – mit einem Backstein aus der Hausfassade aufgehalten. Mein Plan war so einfach, dass ihn auch ein Achtjähriger hätte ausführen können und das wahrscheinlich auch schon getan hatte: Klingelmännchen spielen.
Ich schlich die Treppe hinauf und klopfte kräftig an die Tür der Wohnung 2 B, bevor ich in den zweiten Stock hinaufhuschte. Ich musste einen Blick auf Tagaletto erhaschen, um zu wissen, ob ich es mit dem richtigen Kerl zu tun hatte – sofern er zu Hause war.
War er.
Nach einem scharfen Schnappen eines sich drehenden Schlosses öffnete sich die Tür zu seiner Wohnung so weit, wie es die Kette erlaubte. In dem Moment sah ich ihn – groß,
dürr und mit einem hageren, feckigen Gesicht, das ganz sicher auch eine Mutter nicht lieben konnte. Der Kerl sah in Wirklichkeit noch schlimmer aus als auf den schrecklichen Polizeifotos.
Ich spähte noch einmal durch das Treppengeländer nach unten, während Tagaletto mit seinen tief liegenden, dunklen Augen nach rechts und links blickte. Wie eine Schildkröte zog er sich dann wieder in seine Wohnung zurück.
Ich machte es mir bequem, um zu warten.
Und hoffte, er würde bald losziehen müssen, um Orte und Menschen aufzusuchen, die mir die dringend benötigte Erleuchtung verschaffen würden. Ich brauchte etwas Glück. Doch bei meinem Glück würde sich der Kerl als Eremit entpuppen. Sam Tagaletto, der unter Platzangst leidende Buchmacher der South Bronx …
Toll, echt toll.
Weniger als eine halbe Stunde später allerdings hörte ich es noch einmal – das Schnappen des sich drehenden Schlosses.
Ja! Sam Tagaletto verließ seine Wohnung. Wohin würde er gehen? Würde ich ihm folgen können, ohne von ihm bemerkt zu werden und eine Tracht Prügel zu kassieren?
59
Ich konnte an einer Hand abzählen, wie oft ich in meinem Leben jemanden beschattet hatte. Und dann blieben immer noch fünf Finger übrig.
Es war also eine ganz neue Erfahrung, ebenso wie das unaufhörliche Herzklopfen, als ich Tagaletto auf die Straße hinaus folgte. Wie nah ist zu nah?
Besser war, das nicht herauszufinden, beschloss ich. Während der ersten Straßenblocks hielt ich mich in sicherem Abstand, verlor ihn einmal beinahe aus den Augen, als er an einer belebten Kreuzung um die Ecke bog. Eigentlich lag es nur an seiner Nikotinsucht, dass ich ihn auf dem vollen Bürgersteig nicht verlor. Ich brauchte lediglich die graue Wolke im Auge zu behalten, die über seinem Kopf schwebte. Der Kerl rauchte mehr als ein Schornstein im Winter.
Der hagere Tagaletto war nicht unbedingt ein körperlich beeindruckender Mensch. Trotzdem schaffte er es irgendwie, bedrohlich zu wirken, was vielleicht an dem »Verarsch mich nicht«-Gang lag. Den beherrschte er wie aus dem Effeff.
Ein paar Blocks weiter hielt ich mich direkt hinter ihm, bis er schließlich erneut abbog und jenseits einer Ladenfront verschwand.
Ich rannte sofort los. Er war in eine schmale Gasse neben einem Pizzaladen mit rotem Neonschild – »Ein Stück Himmel« – eingetaucht.
»Scheiße, wo steckt er?«, murmelte ich, als ich die Gasse erreichte und um die Ecke spähte. Ich war außer Atem, sah nur Mülltonnen entlang beider Seiten. Langsam ging ich weiter. Wo, zum Teufel, steckte er?
Die wahrscheinlichste Antwort sah ich
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