Racheengel
gesprochen, das sie haben würde, von den Orten, die sie sehen würde, von dem Geld, das sie verdienen und ihrem kleinen Bruder Maksim schicken würde, damit der die Schulden begleichen konnte, die Mama hinterlassen hatte.
Von dem guten Leben, das sie haben würde, sprach Aleksander, als er sie in dem Hotel in Kiew in die Arme nahm. So einen Luxushatte Galya noch nie gesehen, solch dicke Teppiche, die seidenen Laken und mehr zu essen, als sie herunterbrachte. All das würde sie bekommen, sagte er und drückte sich an sie. Und sie erlag ihm, ungeachtet dessen, was Mama wohl denken würde, wenn sie vom Himmel hinabschaute. Denn sie war dankbar, weiß Gott. Und Aleksander war gutaussehend und groß, mit dunklen Augen und langen Wimpern, und Galya musste unbedingt einmal etwas Schönes berühren, einmal in ihrem Leben.
Ihr Orgasmus war gewesen, als würde Glas bersten, und danach hatte sie sich so leer gefühlt wie eine der Schaufensterpuppen, die sie in den Schaufenstern im Metrograd-Einkaufszentrum gesehen hatte. Eine Minute, vielleicht auch nur einige Sekunden lang hatte sie das Gefühl gehabt, Aleksander vielleicht zu lieben. Aber dann löste sich dieses Gefühl in ihrer Brust auf, wurde in dem Moment weggespült, als er ihr einen litauischen Pass mit dem Bild eines Mädchens gab, das Galya Petrowa ähnlich genug sah, um einem flüchtigen Blick standzuhalten.
Ins Flugzeug stieg sie allein, den Pass umklammert und mit einer köstlichen Beklommenheit im Herzen. Ihre Nerven sprühten Funken vor lauter Erwartung. Sie war noch nie geflogen und keuchte auf, als sie spürte, wie die Beschleunigung des Flugzeugs sie in den Sitz drückte. Dann hob es ab, und Galya betete zu Gott, dass es sie sicher nach Wilna bringen möge.
Sie schaute sich um und sah in die Gesichter der anderen Passagiere. Und ob sie nun mit ihren Begleitern scherzten oder nur reglos dasaßen, in allen Augen las Galya dasselbe Gebet.
Beim Fliegen glaubt jeder an Gott, dachte sie.
Wer hätte denn sonst den Mut dazu?
»Und was?«, fragte Rasa noch einmal.
»Und ich sollte mit den Kindern spielen.«
»Und jetzt bist du in Belfast. Was willst du dagegen machen?«
Galya verknotete ihre Finger.
»Dieser Aleksander hat dich also belogen, du bist auf dieser Farm gelandet und hast jeden Tag von morgens bis abends geschuftet«, fuhr Rasa fort. »Als ich dich gefunden habe, warst du voller Dreck und hast gestunken wie ein Pferd. Und jetzt schau dir mal die hübschen Sachen an, die ich dir gekauft habe. Und du kannst sogar ein bisschen Geld verdienen, sobald du mir alles zurückgezahlt hast.«
»Zurückbezahlt?«
»Für die Agentur, die dich rübergeholt hat. Denen musste ich eine Stange Geld bezahlen, um dich von dieser Farm wegzuholen. Wie willst du mir das zurückzahlen?«
»Ich habe nicht verlangt …«
»Ist mir ganz egal, was du verlangt hast«, unterbrach Rasa sie, und in ihrer Stimme schwang wieder diese Unerbittlichkeit mit. »Ich habe dich da rausgeholt. Hat mich eine Menge gekostet, und jetzt schuldest du mir was. Du musst nichts weiter tun, als die Freier zufriedenzustellen. Was ist denn daran so schlimm? Tu einfach nur, was sie verlangen, lächle sie an, sei hübsch.«
Rasa rückte näher an Galya heran und streckte eine Hand aus, um ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen. »Weißt du überhaupt, was für ein hübsches Mädchen du bist?«
Galya kaute auf einem Fingernagel.
»Wie eine Puppe«, sagte Rasa. »Mehr musst du gar nicht machen. Einfach nur lächeln, hübsch sein und tun, was sie verlangen.«
Galya sah Rasa an. »Und wenn ich nein sage?«
Rasa lächelte sie traurig an. »Dann ist der Freier unzufrieden«, sagte sie langsam. Ihr Russisch war von einem litauischen Akzent gefärbt. »Und die Männer, die dir dieses Zimmer gegeben haben und ein Dach über dem Kopf, sind dann auch unzufrieden. Du willst doch nicht undankbar erscheinen, oder? Du willst dochnicht für schwierig gehalten werden? Dann werden sie nämlich wütend. Sie brauchen das Geld, um die Miete für dich zu bezahlen. Du willst sie doch nicht wütend machen, oder?«
»Nein«, sagte Galya so leise, das sie sich selbst kaum hörte.
»Braves Mädchen.« Rasa lehnte sich zu ihr und drückte ihr einen trockenen Kuss auf die Wange. »Tu einfach, was man dir sagt, und alles ist in Ordnung. Ich verspreche es.«
Also hatte Galya den grauen Trainingsanzug und die einfache Unterwäsche ausgezogen, die sie ihr ein paar Tage zuvor gegeben hatten, und die Spitzenfummel und
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