Rachegott: Thriller
nervös: „Nora?! Wo bist du?! Geht es dir gut?! Sag etwas!“
„Ich bin hier! Im Wohnzimmer!“, antwortete sie.
Ohne lange zu zögern lief Tommy los. Er machte einen Bogen um die Blutlache, die sich auf dem Flurboden befand, und begab sich zum Wohnraum. Dort sah er Nora auf der Couch sitzen. Eine Kollegin saß neben ihr und redete ihr gut zu.
„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte!“, rief er außer Atem, ehe er sich ebenfalls neben Nora setzte. „Wie geht es dir? Was ist genau passiert?“
„Ich ... ich weiß es nicht. Max war betrunken. Er grölte und lallte wirres Zeug. Dann griff er mich plötzlich an. Ich konnte kaum reagieren. Es kam zu einem Kampf. Er würgte mich. Kurz darauf schlug er mir auf die Schulter. Meine Waffe ging los und -“ Sie schloss die Augen. „Das ist ein Albtraum! Es ist so schrecklich!“
„Ist schon okay. Beruhige dich. Alles wird gut.“
„Nichts wird gut! Ich habe ihn angeschossen! Wahrscheinlich wird er die nächsten Stunden nicht überleben! Er wird meinetwegen sterben!“
Tommy horchte auf. „Er lebt also noch? Ich dachte, er wäre bereits tot?! Am Telefon habe ich von den Kollegen gehört, dass er schon gestorben wäre.“
„Nein, er lebt noch. Aber wie lange noch? Das ist die Frage!“
Nachdem Nora sich vor zehn Minuten unter dem Körper ihres Exmannes hervorgerobbt hatte, war sie in ihr Wohnzimmer gestürmt, um den Notarzt zu alarmieren. Keine fünf Minuten später war dieser schon bei ihr eingetroffen. In dieser Zeit hatte Max zwar sehr viel Blut verloren, aber Nora hatte noch immer seinen Puls fühlen können.
„Ich habe alles gemacht, um seine Blutung zu stoppen. Aber die Schusswunde ist zu groß und zu tief. Er wird sterben. Ich weiß es. Ich habe ihn erschossen!“
„Auch wenn Max es tatsächlich nicht schaffen sollte, trägst du keine Schuld an dem Mist. Es war Notwehr. Du hast ihm in den letzten Monaten unzählige Male zu verstehen gegeben, dass es zwischen euch endgültig aus ist. Trotzdem hat er dich immer wieder belästigt. Zudem hast du eben gesagt, dass er heute Abend betrunken war.“
„Aber dafür gibt es nur meine Aussage! Es gibt keine Zeugen! Was ist, wenn man mir nicht glauben wird?!“
„Jeder wird dir glauben. Darüber brauchst du dir aber keine Gedanken zu machen. Max ist schließlich ein zäher Hund. Vielleicht kommt er durch. Und im Fall der Fälle werden wir eine Obduktion anordnen. Die wird beweisen, dass er besoffen war. Dein Exmann hat sich das Dilemma selbst zuzuschreiben.“
Nora lehnte sich zurück und sah an die Decke. „Er muss überleben. Er muss ! Ich will ihn nicht auf dem Gewissen haben! So darf das alles nicht enden. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen?! Wieso musste er mich immer wieder aufsuchen und belästigen?! Wie hätte ich ihm denn noch beibringen sollen, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft gibt? Hätte ich sofort den gerichtlichen Weg einschlagen müssen? Wäre dieser ganze Mist dann nie passiert?“
In dieser schwierigen Situation wurde Nora einmal mehr bewusst, dass es häufig nur vereinzelte Handlungen waren, die den gesamten Lauf des Lebens veränderten. Sie würde alles dafür geben, die Uhr um eine Viertelstunde zurückdrehen zu können. Nur eine Viertelstunde! Mehr wünschte sie sich nicht. Doch wie so oft war die Zeit ihr größter Feind. Es stand nicht in ihrer Macht, sie anzuhalten oder gar zurückzudrehen. Ab sofort müsste sie mit den Konsequenzen des Schusses leben. Sie konnte es nicht mehr ungeschehen machen.
„Ich wollte nicht schießen!“, beteuerte sie. „Ich weiß nicht einmal, wie es genau passiert ist. Als ich zur Waffe griff, schmiss Max sich auf mich. Er schlug auf meine Schulter, während ich den Arm nach oben riss. Der Schuss muss sich gelöst haben, ohne dass ich etwas dagegen hätte machen können.“
„Ich sagte doch, dass es nicht deine Schuld ist. Wir alle glauben dir. Es war ein Unfall.“ Thomas sah seine Kollegin mitfühlend an. So verzweifelt hatte er sie selten erlebt. In den vergangenen zwölf Jahren war Nora stets eine kontrollierte, selbstbewusste Frau gewesen. Doch nachdem Timo gestorben war, hatte sich ihre Wesensart langsam aber sicher gewandelt. Sie hatte einen Teil ihrer Stärke und Lebenslust verloren. Und nun traf sie bereits der nächste Schicksalsschlag, der ihre Gedanken in Zukunft dominieren würde. Thomas wusste, dass Nora nicht in der Lage war, negative Gedanken von sich abzuschütteln. Immerzu dachte sie über ihre
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