Racheherz - Roman
Hauptantrieb und das wahre Motiv des Mörders.«
Unter den zahllosen seltsamen Momenten der vergangenen vier Tage begann ihm dieses Gespräch als der seltsamste zu erscheinen.
»Und was ist die Pfahlwurzel der Gewalt?«, fragte Ryan.
»Hass auf die Wahrheit.«
Der Wagen, der hinter ihnen im Leerlauf rollte, war die Mercedes-Limousine. George Zane hielt auf der Straße an, parallel zu dem Honda, aber mit der Kühlerhaube ein kleines Stück weiter vorn, so dass Ryan und die Frau weiterhin bei schwachem Mondschein im Dunkeln standen.
Sie sagte: »Falls Sie jemals jemanden zum Reden brauchen, ich bin … Cathy Sienna.« Sie buchstabierte ihm den Nachnamen.
»Heute Morgen haben Sie mir noch gesagt, Sie würden mir niemals Ihren wahren Namen sagen.«
»Das war falsch. Und noch etwas, Mr Perry …«
Er wartete.
»Hass auf die Wahrheit ist ein Laster«, sagte sie. »Aus ihm entspringt Stolz. Und Begeisterung für eine auf den Kopf gestellte Ordnung.«
Das Mondlicht machte aus ihren grauen Augen Silbermünzen.
Sie sagte: »Vor wenigen Augenblicken waren wir im Hause eines Mannes, der sich glühend dafür begeistert, die Ordnung auf den Kopf zu stellen. Passen Sie auf. Das kann ansteckend sein.«
Obwohl Cathy nach seiner Hand griff, schüttelte sie diese nicht, sondern drückte sie mit ihren beiden Händen. Es war eher eine liebevolle Geste unter Freunden als die Verabschiedung von jemand, mit dem man geschäftlich zu tun hatte.
Bevor ihm etwas einfiel, das er sagen konnte, stieg sie in ihren Wagen, schloss die Tür und ließ den Motor an.
Ryan blieb auf der Straße stehen und sah ihr nach, als sie losfuhr. Dann nahm er auf dem Rücksitz des Mercedes Platz.
»Zurück zum Hotel, Sir?«, fragte Zane.
»Ja, bitte.«
In seinen Händen hielt Ryan den braunen Umschlag mit dem Foto von Teresa Reach, von dem er vermutete, es könne einen Hinweis enthalten, der ihn retten würde.
Um das Foto eingehend zu studieren, musste er es in hoher Auflösung einscannen und mit der besten Fotobearbeitungs-Software
untersuchen, die auf dem Markt war. Heute Nacht konnte er nichts mehr damit anfangen.
Auf der Fahrt kehrten Ryans Gedanken wiederholt zu Cathy Sienna zurück - zu der Frage, ob ihre Sorge echt sei.
Im Licht der jüngsten Ereignisse fragte er sich, ob sie ihm ihren Rat und weitere Gespräche angeboten hätte, wenn er kein reicher Mann wäre.
19
Aus dem Mercedes machte Ryan etliche Anrufe. Als er sein Hotel erreichte, hatte er ein gutes Gefühl dabei, George Zane den braunen Umschlag anzuvertrauen.
Wilson Motts Hauptniederlassungen befanden sich in New York, Los Angeles und Seattle, doch er hatte auch Verbindungen zu Sicherheitsdiensten in anderen Städten, darunter auch Las Vegas. Es war ihm gelungen, die digitale Bildbearbeitung von Teresas Fotografie durch zuverlässige Ortsansässige zu arrangieren und die Software sowie die Hardware zu beschaffen, die es Ryan gestattete, die Aufnahme genauer zu untersuchen.
Um 6:30 Uhr am kommenden Morgen, wenn der Firmenjet mit Ryan aus Las Vegas abflog, würden Motts Leute das gesamte Teresa-Paket bereits in seiner Hotelsuite in Denver abgeliefert haben.
Da er Samantha gesagt hatte, er hätte geschäftlich nach Denver reisen müssen, hatte er jetzt die Absicht, dorthin zu fliegen. Er wusste selbst nicht, warum.
Die Lüge, die er ihr erzählt hatte, ließ sich damit nicht aus der Welt schaffen. Es würde nach wie vor eine Lüge sein - weder abgebüßt noch abgeschwächt. Und im Moment hatte er auch nicht die Absicht, ihr zu enthüllen, dass er Nachforschungen über ihre Mutter und über Spencer Barghest angestellt hatte, und das war eine Unterlassung - eine gezielte Verheimlichung -, die als Verrat viel schwerer wog als die Lüge hinsichtlich seines Reiseziels.
Eine Rückkehr in sein Haus über der Küste von Newport weit vor einem Termin bei Dr. Samar Gupta am Dienstag kam nicht infrage. Nachdem er Lee und Kay Ting in der Küche flüstern gehört hatte, hatte er sich in seinem eigenen Haus beobachtet gefühlt - und er würde diesen Eindruck auch weiterhin haben.
Las Vegas hatte ihm außer Glücksspielen nichts zu bieten. Er war ohnehin schon an einem Spiel um den höchst möglichen Einsatz beteiligt, und weder Roulette noch Poker, noch Black Jack oder Baccara konnten ihn von dem Wissen ablenken, dass es um sein Leben ging.
Daher würde er am frühen Morgen nach Denver fliegen.
Wie schon das Mittagessen nahm er auch das Abendessen in seinem Hotelzimmer ein. Er hatte
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