Racheherz - Roman
Wut, Habgier und Rachsucht. Sie hatte sie eher als Schwächen und weniger als Motive ansehen wollen, aber Motive waren sie trotzdem. Wie bei jedem, der Mordabsichten hegt, konnte mehr als eines der Motive zutreffen.
Als Ryan den Monitor gerade ausschalten wollte, flackerte das Bild und veränderte sich. Anstelle des Blickwinkels einer der Überwachungskameras innerhalb oder außerhalb des Hauses erschien eine schillernde, klebrige Substanz, rot und marmoriert und blaugeädert und pochend. Wie eine Bedrohung, die in einem alten Science-Fiction-Film in einem zersprungenen Meteoriten entdeckt wird.
Im ersten Moment hatte Ryan keine Ahnung, worum es sich handeln könnte, doch dann begriff er, dass es die Aufnahme eines schlagenden menschlichen Herzens und der damit verbundenen Blutgefäße war, in einer geöffneten menschlichen Brust.
Obwohl er die Fernbedienung nicht anrührte, teilte sich der Bildschirm in vier Quadranten, die Kameras an verschiedenen Orten auf dem Grundstück darstellten - und alle dasselbe grausige Video zeigten. Im nächsten Moment wurden vier andere Kameras auf dem Bildschirm eingeblendet, die alle das pochende Herz zeigten, und dann vier weitere, und nochmal vier …
Das war kein Echtzeitgeschehen, keine Verstümmelung, die in diesem Moment auf dem Anwesen stattfand, sondern stattdessen ein Lehrfilm für Eingriffe am offenen Herzen. Die Hände des Chirurgen kamen ins Bild und die Kamera fuhr zurück, um das Ärzteteam zu zeigen.
Das Sicherheitssystem lief der Reihe nach durch sämtliche Kameras und dann noch einmal, schneller und immer schneller, bis die Bilder so rasend schnell vorüberzogen, dass man der Handlung des Dokumentarfilms nicht mehr folgen konnte. Der Monitor wurde schwarz.
Von den aufgereihten Magnetscheibenrekordern in dem Schrank stiegen die gequälten Schreie von elektronischen Geräten im Todeskampf auf. Dann herrschte Stille - und auf jedem Teil der Anlage gingen die Kontrolllampen aus.
Ryan brauchte keinen technischen Kundendienst anzurufen, denn er wusste auch so, dass das System abgestürzt war, dass die üblicherweise dreißig Tage lang gespeicherten Aufzeichnungen weg waren und dass er keine Beweise mehr dafür besaß, dass jemand die Überwachungsvideos manipuliert hatte.
42
In dem Alkoven seiner Suite zog Ryan eine Schreibtischschublade auf, blätterte in einem Hängeregister und fand die Mappe, die das Foto von Teresa Reach enthielt, das er aus dem Album in Spencer Barghests Arbeitszimmer genommen hatte.
Bevor ihm Dr. Gupta vor sechzehn Monaten Kardiomyopathie diagnostiziert hatte, war er der Überzeugung gewesen, auf dieser Fotografie würde er einen Anhaltspunkt entdecken und dadurch zu einer Erklärung der seltsamen Vorfälle gelangen, die sich zu jener Zeit abgespielt hatten.
Letzten Endes hatte seine besessene Analyse des Fotos nichts Nützliches ans Licht gebracht. Schließlich war er dann zu der Überzeugung gelangt, es hätte keine Verschwörung gegen ihn gegeben und niemand hätte die Absicht gehabt, ihn zu vergiften; harmlose Begebenheiten seien ihm nur deshalb geheimnisvoll und bedeutsam erschienen, weil er von Natur aus argwöhnisch war und sein schlechter Gesundheitszustand seinen klaren Verstand getrübt hatte.
Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich Teresa noch einmal anzusehen.
Die Workstation, die Mott ihm für die Bildbearbeitung und die Fotoanalyse besorgt hatte, besaß er nicht mehr. Seine bloßen Augen würden genügen müssen.
Während er am Schreibtisch saß, läutete das Telefon: sein privatester Anschluss. Auf dem Display wurde keine Nummer angezeigt.
Als er den Anruf annahm, sagte die Frau mit den Lilien: »Überprüfen Sie die Abbuchungen von Ihrem Girokonto. Sie werden feststellen, dass Sie eine elektronische Überweisung in Höhe von hunderttausend Dollar als Spende für die kardiovaskuläre Forschung getätigt haben. Ich denke, dass ein finanzieller Verlust für Sie schmerzhafter ist als eine Messerwunde.«
Statt auf ihr Spiel einzugehen, sagte er: »Wer sind Sie - Sie und Ihre Leute?«
»Es gibt keine anderen Leute. Es gibt nur mich.«
»Sie lügen. Die Möglichkeiten, die Sie nutzen, stehen Einzelpersonen nicht zur Verfügung. Sie haben eine ganze Truppe hinter sich.«
»Wer auch immer ich bin, Sie sind jedenfalls tot.«
»Noch nicht«, sagte er und legte auf.
Sein, um zu handeln. Nicht: Sein, um sich etwas zufügen zu lassen. Nutze den Moment. Nimm die Dinge selbst in die Hand, statt erst zu reagieren,
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