Rachekind: Thriller (German Edition)
später beweisen zu können, dass sie irrational handelte, und selbst Simon und die Erzieherinnen in der Krippe würden bestätigen, dass sie niemandem Bescheid gegeben hatte, bevor sie weggefahren war. Diesen Rob hatte es wahrscheinlich nie gegeben. Sie hatte Martens Behauptung, dass Rob gefasst worden war, nie nachgeprüft. Wozu auch. Er hatte ihr ein Gespräch vorgespielt, das alle Informationen enthielt, die sie interessiert hatten. Und Steve hatte in der Wohnung Dinge vertauscht, damit sie dachte, es würde bei ihr losgehen wie bei Oma Wilmi. Dann die lange Pause, in der nichts passierte, um sie in Sicherheit zu wiegen, bevor es in die nächste Runde ging. Steve wusste, dass Oma Wilmis Krankheit in Phasen verlaufen war. Alles Teil eines großen Plans.
Ob Marten auch hinter den Albträumen steckte? Hatte er etwas in ihrem Schlafzimmer versteckt, das diese Träume hervorrief? Eine Droge, die sie im Schlaf einatmete? Eine akustische Manipulation, die immer zur gleichen Zeit abgespielt wurde? Aber was war mit ihren Halluzinationen? Sie zupfte an ihrer Kette. An der Passstelle und in Marys Diele war er dabei gewesen. Und er war in England gewesen, als sie den Unfall gehabt hatte – hatte George richtig getippt? Da steckt nicht einer allein dahinter . Doch ein Anschlag? Hatte Marten ihr den Stein vors Auto geworfen? Oder Steve? Mit dem Ziel, dass sie sich verfolgt fühlte und immer ängstlicher und irrationaler reagierte?
Sie stöhnte auf und ließ die Stirn in ihre Hand sinken. Es war ihr kaum möglich, die Gedanken zu ordnen. Sie musste sie aufschreiben. Sortieren. In eine übersichtliche Form bringen. Dann würde sie ein Muster erkennen können. Sie berührte das Mousepad des Laptops, und der Bildschirmschoner verschwand. Stattdessen baute sich ein Bild auf. Ein Waldstück, einsam, es waren keine Menschen unterwegs, ein Fuchs schnupperte am Boden, dann scharrte er die Blätter weg. Goldene und rotbraune Blätter, die den Waldboden in einen herbstlichen Flickenteppich verwandelten. Die Kamera zoomte näher auf den Fuchs, sein Schnüffeln wurde intensiver, seine Aufregung war über den Bildschirm spürbar. Er scharrte hektisch an ein und derselben Stelle, bis schließlich etwas Bleiches, Schmutziges an die Oberfläche kam. Hanna konnte ihren Blick nicht vom Bildschirm lösen. Sie verstand nicht, wo der Film herkam, fragte sich, wo sie hingeklickt haben mochte, um ihn auszulösen. Wieder vergrub der Fuchs seine Schnauze in dem weichen Waldboden, und als er diesmal aufsah, war seine Schnauze blutig. Hanna drückte auf die Escape-Taste, um den Film zu stoppen, doch er lief weiter. Wieder wurde der Zoom auf den Fuchs größer. Hanna sah jetzt die Blutstropfen auf der Fuchsschnauze ganz deutlich. Sie drückte auf »Escape«, hämmerte mit dem Mittelfinger auf die Entertaste, dann auf den Reset-Knopf. Das Bild veränderte sich nicht, der Fuchs sah sie an, die helle Schnauze blutrot, die Augen unverwandt auf Hanna gerichtet, als könnte er sie durch den Bildschirm sehen und mit seinem Blick festhalten. Dann veränderte sich der Blickwinkel der Kamera. Der Fuchs verschwand aus dem Bild, und ein heller Fleck am Boden erschien. Sie beugte sich näher an das Bild, und dann erkannte sie es. Die Kamera zoomte rasend schnell auf den Gegenstand. Sie sah die Großaufnahme. Sah jedes grausame Detail. Sah Steves Kopf. Sah die Verstümmelung, die Fuchs, Maden und die anderen Bewohner des Waldes angerichtet hatten.
Sie schreckte zurück. Etwas schnappte nach ihrem Bein. Mit einem Schrei sprang sie vom Stuhl. Sie riss den Laptop vom Tisch und schwang ihn über ihren Kopf, bereit zuzuschlagen, als Lilous Gebrüll sie innehalten ließ.
Lilou lag am Boden, aus ihrem Mund quoll Blut. Hanna warf den Laptop auf die Tischplatte und zerrte Lilou vom Boden hoch. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie Lilou weggeschleudert haben musste, als sie vom Stuhl aufgesprungen war. Dass sie sich vor Lilou erschreckt hatte. Dass sie ihr eigenes Kind für einen Fuchs gehalten hatte und … Sie drückte Lilous Kopf an ihre Schulter und wiegte sie sanft hin und her. Langsam verebbte Lilous Weinen, und Hanna sah sich die Wunde am Mund genauer an. Die Unterlippe war aufgebissen. Hanna befeuchtete ein Küchentuch und drückte es Lilou zwischen die Lippen.
»Entschuldige, Püppchen!« Sie streichelte ihr über die Haare und versenkte ihre Lippen darin. »Es tut mir so leid.«
Die schrecklichen Bilder verfingen sich in Hannas Kopf. Was, um alles in der
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