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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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zurückgeblieben war. Sechs kurze Tage, drei mal zwei Nächte, hatte es gebraucht, bis sich das friedliche Visserine in diesen Hexenkessel verwandelt hatte.
    Der einzige Teil der Stadt, der von all dem noch unberührt geblieben war, war die Insel, auf der sich der Palast von Herzog Salier befand. Es gab dort Gemälde, hatte Murcatto gesagt, und andere hübsche Dinge, die Ganmark, der Befehlshaber von Orsos Heer, zu schützen wünschte. Er verbrannte zahllose Häuser und die zahllosen Menschen, die sich in ihnen befanden, und befahl Tag und Nacht zu morden, aber diese toten Dinge aus Farbe mussten bewahrt werden. So ein Mann, fand Freundlich, gehörte in die Sicherheit, damit die Welt draußen sicherer würde. Aber stattdessen gehorchte man ihm, bewunderte ihn, und die Welt brannte. Alles schien auf den Kopf gestellt, alles verkehrt. Aber Freundlich war schließlich auch nicht in der Lage, Richtig und Falsch voneinander zu unterscheiden, das hatten ihm die Richter gesagt.
    »Bist du so weit?«
    »Ja«, log Freundlich.
    Cosca gönnte ihm ein träges Lächeln. »Dann zur Bresche, mein Freund, auf ein Neues!« Und damit trottete er die Straße entlang, eine Hand auf dem Griff seines Degens, die andere hielt den Hut auf den Kopf gedrückt. Freundlich schluckte, dann folgte er ihm, und er bewegte still die Lippen, während er seine eigenen Schritte zählte. Er musste etwas anderes zählen als die verschiedenen Möglichkeiten, auf die er den Tod finden konnte.
    Je weiter sie in den Westen der Stadt vorrückten, desto schlimmer wurde es. Die Feuer brannten in schrecklicher Pracht, knisterten und brüllten wie hoch aufragende Teufel, die ihre Zähne in die Nacht schlugen. Sie versengten Freundlichs Augen und ließen sie tränen. Oder vielleicht weinte er auch, wenn er all diese Verschwendung ansah. Wenn man etwas haben wollte, wieso verbrannte man es dann? Und wenn man etwas gar nicht wollte, wieso sollte man dann kämpfen, um es einem anderen abzunehmen? Männer starben in der Sicherheit. Das geschah ständig. Aber das war keine Verschwendung dieses Ausmaßes. In der Sicherheit gab es gar nicht so viel, dass man es hätte riskieren können, Dinge zu zerstören. Alles dort besaß einen Wert.
    »Verdammtes gurkhisisches Feuer!« Cosca fluchte, als sie wegen eines neuen großen Brandes einen weiten Umweg machen mussten. »Vor zehn Jahren hätte es sich niemand träumen lassen, dieses Zeug als Waffe einzusetzen. Dann haben sie Dagoska damit in Schutt und Asche gelegt und Löcher in die Mauern des Agrionts gerissen. Jetzt hat eine Belagerung kaum begonnen, da fangen sie schon damit an, alles in die Luft zu sprengen. Zu meiner Zeit steckte man am Tag vielleicht einmal ein Haus an oder zwei, um die Sache ein wenig in Schwung zu ringen, aber so etwas gab es nicht. Wir wollten schließlich Geld verdienen, und ein gewisses, bescheidenes Maß an Elend galt als bedauerliche Begleiterscheinung. Jetzt geht es nur noch um Zerstörung, je mehr, je besser. Die Wissenschaft, mein Freund, die Wissenschaft. Soll einem das Leben doch eigentlich leichter machen, habe ich immer gedacht.«
    Kolonnen rußverschmierter Soldaten marschierten an ihnen vorbei, und das Feuer ließ ihre Rüstungen orangefarben schimmern. Kolonnen rußverschmierter Zivilisten reichten Eimer mit Wasser von Hand zu Hand, die verzweifelten Gesichter halb von den unverlöschlichen Flammen beleuchtet. Zornige Geister, schwarze Umrisse in der glühenden Nacht. Hinter ihnen prangte ein großes Wandgemälde an einer zerborstenen Mauer. Herzog Salier in voller Rüstung, der entschlossen den Weg zum Sieg wies. Er hatte sicher eine Fahne in Händen gehalten, dachte Freundlich, aber der obere Teil des Gebäudes war eingestürzt und hatte seinen erhobenen Arm mit sich gerissen. Tanzende Flammen ließen es so aussehen, als ob das gemalte Gesicht zuckte und sein gemalter Mund sich bewegte, während die gemalten Soldaten um ihn herum zum Angriff auf die Bresche bliesen.
    In Freundlichs jungen Jahren hatte es in der zwölften Zelle auf seinem Flur einen alten Mann gegeben, der uralte Geschichten erzählt hatte. Geschichten von der Zeit vor der alten Zeit, als diese Welt und die Unterwelt noch eins waren und die Teufel frei über die Erde streiften. Die Insassen hatten über den alten Mann gelacht, und Freundlich auch, denn in der Sicherheit tat man gut daran, alles genauso zu machen wie alle anderen und um keinen Preis aufzufallen. Aber wenn niemand in der Nähe war, dann war er zu dem

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