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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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ermordet worden, sie selbst verkrüppelt, und alles, was sie sich aufgebaut hatte, war vernichtet. Der Schmerz, das nagende Verlangen nach Spreu, das verlorene Vertrauen, Tag um Tag, Woche um Woche. Dann waren da noch die vielen Tode, für die sie verantwortlich war, in Westport, in Sipani, und die sich wie ein bleiernes Gewicht auf ihre Schultern legten.
    Nach den Erlebnissen der letzten Monate hätten jedem die Hände gezittert. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sie hatte mit ansehen müssen, wie man Espe das Auge ausgebrannt hatte, während sie fürchtete, selbst als Nächste an der Reihe zu sein.
    Nervös sah sie zu der Tür, die ihre Zimmer miteinander verband. Er würde bald aufwachen. Und wieder schreien, was schlimm genug war, oder schweigen, und das war noch schlimmer. Wenn er sich hinkniete und sie mit seinem einen Auge anstarrte. Mit diesem anklagenden Blick. Sie wusste, dass sie hätte dankbar sein sollen und dass sie sich so um ihn hätte kümmern sollen, wie sie es früher für ihren Bruder getan hatte. Aber ein wachsender Teil in ihr wollte ihn einfach nur treten, ohne aufzuhören. Vielleicht war mit Bennas Tod alles, was warm oder anständig oder menschlich in ihr war, ebenfalls gestorben und verweste nun mit seinem Leichnam am Hang des Berges.
    Sie zog den Handschuh ab und starrte das Ding an, das er sonst verbarg. Die dünnen hellroten Narben, unter denen die zerschmetterten Knochen wieder zusammengefügt worden waren. Die tiefrote Linie, die von Gobbas Draht herrührte. Sie zog die Finger zu einer Faust oder zumindest zu etwas Ähnlichem zusammen, außer dem kleinsten, der immer noch wie ein Wegweiser ins Nichts abstand. Es tat nicht mehr so schlimm weh wie zuvor, aber genug, damit sie gequält das Gesicht verzog, und der Schmerz durchbohrte die Angst und zerschmetterte die Zweifel.
    »Rache«, flüsterte sie. Ganmark töten, das war alles, worauf es nun ankam. Sein weiches, trauriges Gesicht, seine schwachen, wässrigen Augen. Wie er seelenruhig Benna den Degen in den Bauch gerammt hatte. Wie er seinen toten Körper von der Terrasse geworfen hatte.
Das hätten wir.
Sie drückte die Faust fester zusammen und bleckte die Zähne dabei.
    »Rache.« Für Benna und für sie selbst. Sie war die Schlächterin von Caprile, gnadenlos, furchtlos. Sie war die Schlange von Talins, tödlich wie eine Viper und mit ebenso wenig Mitleid. Ganmark töten, und dann …
    »Wer auch immer dann an die Reihe kommt.« Und ihre Hand zitterte nicht mehr.
    Schnelle Schritte hasteten draußen über den Flur und verebbten wieder. Sie hörte jemanden etwas weiter entfernt rufen, verstand die Worte nicht, hörte aber die Angst in der Stimme. Sie ging zum Fenster und zog es auf. Ihr Raum, oder ihre Zelle, lag hoch oben an der Nordwand des Palastes. Eine steinerne Brücke spannte sich flussaufwärts über die Visser, und winzige Punkte bewegten sich darauf hin und her. Selbst aus dieser Entfernung erkannte sie, dass Menschen dort um ihr Leben rannten.
    Ein guter General lernt den Geruch von Panik zu erkennen, und plötzlich stank es überall danach. Orsos Männer mussten endlich die Mauern überwunden haben. Die Eroberung von Visserine hatte begonnen. Ganmark würde nun vielleicht sogar schon auf dem Weg zum Palast sein, um die berühmte Kunstsammlung Saliers in Besitz zu nehmen.
    Die Tür schwang knarrend auf, und Monza wirbelte herum. Hauptmann Langrier stand in einer talinesischen Uniform auf der Schwelle, und sie hatte einen vollgestopften Sack in der Hand. An der einen Hüfte trug sie einen Degen, an der anderen einen langen Dolch. Monza hatte keine Waffen dieser Art bei sich, und dieser Umstand wurde ihr mit einem Schlag höchst schmerzlich bewusst. Sie stand da, die Hände an den Seiten, und versuchte nicht so auszusehen, als sei jeder ihrer Muskeln kampfbereit angespannt. Bereit, bis auf den Tod zu kämpfen, wenn es sein musste.
    Langrier näherte sich langsam. »Also sind Sie wirklich Murcatto, was?«
    »Ich bin Murcatto.«
    »Föhrengrund? Musselia? Das Hohe Ufer? Sie haben all diese Schlachten gewonnen?«
    »Das stimmt.«
    »Sie haben in Caprile den Tod all dieser Menschen befohlen?«
    »Was wollen Sie, verdammt noch mal?«
    »Herzog Salier sagt, er habe sich entschlossen, es auf Ihre Art zu machen.« Langrier warf den Sack auf den Boden und zog ihn auf. Es schimmerte Metall darin. Die talinesischen Rüstungen, die Freundlich in der Nähe der Bresche gestohlen hatte. »Ziehen Sie am besten das hier an. Wir

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