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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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dem Kampfeslärm aus der Entfernung gelauscht, darauf gewartet, den Befehl für seinen eigenen Einsatz zu bekommen, über die Wahrscheinlichkeit seines Überlebens nachgedacht und versucht, seine Angst vor jenen, die er führte, und vor jenen, denen er folgte, zu verheimlichen. Er erinnerte sich an Schwarzenquell, wie er mit klopfendem Herzen durch den Nebel gerannt und vor jedem Schatten erschrocken war. An die Cumnur, wo er mit fünftausend anderen in Kriegsgeheul ausgebrochen und die lange Böschung hinuntergestürmt war. An Dunbrec, wo er Rudd Dreibaum bei einem Angriff gegen den Gefürchteten gefolgt und beinahe sein Leben gegeben hatte, um die Stellung zu halten. An die Schlacht auf den Hohen Höhen, als die Schanka aus dem Tal hervorbrachen, die verrückten Ostländer über die Befestigung zu klettern versuchten und er Rücken an Rücken mit dem Blutigen Neuner gekämpft hatte, immer in dem Bewusstsein: standhalten oder sterben. Erinnerungen, die so scharf hervortraten, dass er sich an ihnen hätte schneiden können – die Gerüche, die Geräusche, das Gefühl der Luft auf seiner Haut, die verzweifelte Hoffnung und der wilde Zorn.
    Er sah eine neuerliche Salve emporsteigen, sah die große Masse der Talineser durch das Wasser stürmen und fühlte nichts weiter als eine gewisse Neugier. Keine Verbindung zur einen oder zur anderen Seite. Kein Bedauern für die Toten. Keine Angst um sich selbst. Er sah Männer unter dem Hagel der Geschosse zusammenbrechen, rülpste, und das leichte Brennen in seiner Kehle bereitete ihm wesentlich mehr Unbehagen, als wenn der Fluss plötzlich mit einer großen Flutwelle all diese Drecksäcke bis ins Meer davongespült hätte. Wenn die ganze Welt ersaufen würde. Ihm war der Ausgang der Schlacht scheißegal. Es war nicht sein Krieg.
    Was ihn zu der Frage brachte, wieso er bereit war, dabei mitzukämpfen, noch dazu auf der Seite, die vermutlich verlieren würde.
    Sein Auge zuckte vom Kampfgetümmel zu Monza. Sie schlug Rogont auf die Schulter, und Espe fühlte ein Brennen im Gesicht, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Jedes Mal, wenn sie miteinander sprachen, versetzte es ihm einen Stich. Der Wind wehte ihr das schwarze Haar kurz aus dem Gesicht und zeigte ihm ihr Profil, das Kinn entschlossen vorgereckt. Er wusste nicht, ob er sie liebte oder sie begehrte oder ob er einfach nur wütend darüber war, dass sie ihn nicht mehr wollte. Sie war wie eine verschorfte Wunde, an der er nicht aufhören konnte zu kratzen, wie eine gespaltene Lippe, an der er immer wieder herumkauen musste, wie ein loser Faden, an dem er immer weiter zog, bis ihm das ganze Hemd auseinanderfiel.
    Unten im Tal hatte die vorderste Front der Talineser ganz andere Sorgen. Die Soldaten kämpften sich durch den Fluss und die Uferböschung hinauf, und durch die Pfeilsalven hatte sich ihre Schlachtordnung weitgehend aufgelöst. Monza rief Rogont etwas zu, und er wandte sich daraufhin an einen seiner Männer. Espe hörte die Schreie von den Hängen weiter unten. Den Angriffsbefehl. Die osprianischen Fußtruppen senkten ihre Speere, die Klingen bildeten eine schimmernde Welle, als sie alle zusammen nach unten bewegt wurden, und dann setzten sie sich in Marsch. Erst langsam, dann schneller, dann begannen sie zu laufen, entfernten sich von den Bogenschützen, die immer noch spannten und schossen, so schnell sie konnten, den langen Abhang hinunter und auf das funkelnde Wasser zu, während die Talineser versuchten, am Ufer eine halbwegs ordentliche Linie zu bilden.
    Espe beobachtete, wie beide Seiten aufeinandertrafen und sich verbanden. Einen Augenblick später hörte er den Aufprall leise im Wind. Das Rasseln, Klappern, Scheppern von Metall, wie ein Hagelsturm auf einem Bleidach. Brüllen, Heulen, Schreien trieben ebenfalls wie aus dem Nichts heran. Eine neuerliche Salve traf auf die Reihen, die sich noch durch das Wasser mühten. Espe sah zu und rülpste wieder.
    Rogonts Hauptquartier war so still wie der Tod, alle starrten zur Furt, die Münder und Augen weit aufgerissen, die Gesichter bleich, die Zügel vor Sorge fest umklammert. Die Talineser brachten nun ihre eigenen Flachbogen in Stellung, schickten eine Salve aus dem Wasser den Abhang hinauf, und die Bolzen flogen flach und zischend zu den Bogenschützen. Mehr als einer stürzte. Jemand fing an zu schreien. Ein verirrter Bolzen grub sich neben einem von Rogonts Offizieren in den Boden und erschreckte sein Pferd, das seinen Reiter beinahe aus dem Sattel warf. Monza

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