Racheklingen
Männer unter den Füßen zertrampelt. Abgetrennte Gliedmaßen, Blutfontänen, gespaltene Schädel, herausquellende Innereien und das ganze Zeug.« Er hob die Augenbrauen. »Bei Schlachten wie der heutigen kann man auch von einigen Ertrunkenen ausgehen.«
»Wie viele, was meinst du?«
»Schwer, das genau zu sagen.« Cosca dachte an die Gurkhisen, die in dem Wehrgraben vor Dagoska ersoffen waren, tapfere Männer, die ins Meer gespült und bei jeder Flut wieder an Land getrieben worden waren, und er seufzte schwer. »Dennoch kann ich mir so etwas ohne große Gefühle ansehen. Ist das Gewissenlosigkeit? Ist das die angemessene Distanz, die ein Heerführer braucht? Liegt es am Stand der Sterne zu der Zeit meiner Geburt? Ich merke stets, dass ich mich im Angesicht von Tod und Gefahr richtiggehend lebendig fühle. Mehr als zu jeder anderen Zeit. Glücklich, wenn ich entsetzt sein sollte, und voller Angst, wenn ich gelassen sein sollte. Ich bin ein Rätsel, sogar mir selbst. Ich bin ein Von-hinten-nach-vorne-Mann, Feldwebel Freundlich!« Erst lachte er, dann kicherte er, dann seufzte er, und dann war er still. »Ein Mann, der von oben nach unten und von innen nach außen gekehrt ist.«
»General.« Andiche beugte sich mit glatt herabhängendem Haar wieder über ihn.
»Was denn, um Himmels willen? Ich versuche mich gerade philosophischen Überlegungen hinzugeben!«
»Die Osprianer sind ganz und gar in die Kämpfe verwickelt. Ihre gesamte Infanterie greift Foscars Truppen an. Die einzige Reserve besteht aus ein paar Reitern.«
Cosca blickte mit zusammengekniffenen Augen ins Tal hinab. »Das sehe ich, Hauptmann Andiche. Das sehen wir alle nur zu deutlich. Es besteht kein Grund, das Offensichtliche zu beschreiben.«
»Nun … wir könnten diese Drecksäcke Jetzt fertigmachen, ohne Probleme. Gib mir den Befehl, und dann sorge ich dafür. Eine bessere Gelegenheit werden wir nicht mehr bekommen.«
»Vielen Dank, aber offenbar geht es dort wirklich heiß zur Sache. Ich bleibe wesentlich lieber hier oben. Vielleicht später.«
»Aber wieso …«
»Es überrascht mich, dass dir nach so vielen Kriegszügen immer noch nicht klar ist, wie die Befehlskette funktioniert! Du wirst feststellen, dass dir das Ganze viel weniger Sorgen bereiten wird, wenn du nicht ständig versuchst, meine Befehle vorauszuahnen, sondern einfach darauf wartest, dass ich sie dir gebe. Das ist das einfachste aller militärischen Prinzipien.«
Andiche kratzte sich den fettigen Kopf. »Das Konzept ist mir schon klar.«
»Dann halte dich daran. Suche dir einen schattigen Platz, Mann, und mach es dir ein wenig gemütlich. Hör doch auf, dauernd durch die Gegend zu rennen. Nimm dir ein Beispiel an der Ziege dort. Siehst du vielleicht, dass sie sich aufreibt?«
Die Ziege hob kurz den Kopf aus dem Gras zwischen den Olivenbäumen und meckerte.
Andiche legte die Hände auf die Hüften, sah missmutig zum Tal hinab, dann wieder zu Cosca und schließlich finsteren Blickes zu der Ziege, wandte sich ab und ging kopfschüttelnd davon.
»Alle rennen hier herum und haben es eilig, Feldwebel Freundlich. Lässt man uns denn nie in Ruhe? Ist denn ein entspannter Augenblick in der Sonne zu viel verlangt? Wo war ich gerade?«
»Wieso greift er nicht an?«
Als Monza die Tausend Klingen über die Hügelkuppe hatte ziehen sehen, die winzigen Umrisse von Männern, Pferden, Speeren, schwarz gegen den blauen Morgenhimmel, hatte sie gewusst, dass sie nun lospreschen würden. Dass sie frohgemut durch die obere Furt stürmen und Rogonts Flanke unter Beschuss nehmen würden, genau, wie sie vorhergesagt hatte. Genau, wie sie es auch getan hätte. Um der Schlacht ein blutiges Ende zu bereiten, ebenso wie dem Achterbund und auch ihren eigenen Hoffnungen, soweit sie noch welche hatte. Wenn es darum ging, möglichst mühelos die besten Früchte zu ernten, war niemand schneller als Nicomo Cosca, und darin, diese Früchte hinunterzuschlingen, war niemand schneller als die Männer, die sie früher einmal angeführt hatte.
Aber die Tausend Klingen verharrten in Sichtweite auf dem Menzesberg und warteten. Warteten auf nichts. Währenddessen hatten Foscars Talineser am Ufer der unteren Furt nicht nur Rogonts Osprianer, sondern auch das Wasser, den weichen Untergrund und den Hang gegen sich, und die Männer in vorderster Front waren einer schmerzhaften Pfeilsalve nach der anderen ausgesetzt. Die Strömung riss immer wieder Leichen mit sich, schlaffe Körper trieben an die Ufer des
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