Racheklingen
Es kommt immer darauf an, wo man steht und so. Ich bin kein Ungeheuer. Vielleicht waren meine Gründe nicht die edelsten. Jeder hat seine Gründe. Die Welt wird eine bessere sein, wenn du nicht mehr da bist!« Das war eine Tatsache, und er wollte, dass sie das zugab. Das schuldete sie ihm. »Besser, wenn du nicht mehr da bist!« Nun beugte er sich über sie, die Zähne gebleckt, hörte Schritte, die zu ihnen eilten, wandte sich um …
Freundlich sprang ihn frontal an und warf ihn um. Espe fauchte, erwischte ihn noch von hinten mit dem Schildarm, aber er konnte nicht mehr tun, als den Sträfling mit sich zu reißen. Sie brachen beide mit einem lauten Krachen durch das Geländer und stürzten in die leere Luft.
Nicomo Cosca kam ins Bild, nahm schwungvoll den Hut vom Kopf und schleuderte ihn mit großer Geste durchs Zimmer, wobei er vermutlich an dem angepeilten Haken vorbeirauschte, denn Morveer sah die Kopfbedeckung wenig später nicht weit von der Latrinentür, hinter der er sich verschanzt hatte, zu Boden segeln. Sein Mund verzog sich in der stinkenden Dunkelheit zu einem triumphierenden Grinsen. Der Söldner hielt eine metallene Taschenflasche in Händen. Genau jene, die ihm Morveer in höchst beleidigender Absicht in Sipani zugeworfen hatte. Der elende alte Säufer musste später zurückgekrochen sein und sie aufgesammelt haben, zweifelsohne in der Hoffnung, noch einen winzigen Tropfen Schnaps aus ihr herauszukitzeln. Wie hohl erschien in diesem Licht sein Versprechen, mit dem Trinken aufzuhören? So viel dazu, dass ein Mann sich ändern konnte. Morveer hatte natürlich von dem weltgrößten Maulhelden gar nichts anderes erwartet, aber es überraschte selbst ihn zu sehen, wie beinahe bemitleidenswert tief Cosca tatsächlich gesunken war.
Das Geräusch der sich öffnenden Schranktür drang an seine Ohren. »Ich muss die hier nur schnell auffüllen.« Coscas Stimme, obwohl er außer Sicht war. Metall klapperte.
Morveer konnte lediglich die wieselartige Visage seines Begleiters erspähen. »Wie kannst du diese Pisse bloß saufen?«
»Irgendwas muss ich schließlich trinken, oder nicht? Das hat mir ein alter Freund empfohlen, der inzwischen leider tot ist.«
»Hast du irgendwelche alten Freunde, die nicht tot sind?«
»Nur dich, Victus. Nur dich.«
Gläserklappern, und dann stiefelte Cosca durch den kleinen Spalt, auf den Morveers Gesichtsfeld beschränkt war, den Flachmann in einer Hand, Glas und Flasche in einer anderen. Es handelte sich um ein auffälliges, purpurrotes Behältnis, und Morveer hatte noch genau vor Augen, wie er nur wenige Augenblicke zuvor ein wenig Gift hineingeträufelt hatte. Offenbar hatte er wieder einmal ein höchst ironisches Lebensende inszeniert. Cosca würde selbst für seinen Untergang verantwortlich sein, wie schon so oft in der Vergangenheit. Aber dieses Mal mit angemessener Endgültigkeit. Er hörte das Rascheln und Schnappen von Karten, die gemischt wurden.
»Fünf Waag für jedes Blatt?«, ertönte Coscas Stimme. »Oder wollen wir nur um die Ehre spielen?«
Beide Männer prusteten lachend los. »Erhöhen wir auf zehn.«
»Zehn. Abgemacht.« Es wurde weiter gemischt. »Nun, das ist doch mal ganz kultiviert. Geht doch nichts über eine Runde Karten, während andere Männer kämpfen, was? Wie in den alten Zeiten.«
»Nur ohne Andiche, ohne Sesaria und ohne Sazine.«
»Davon einmal abgesehen«, räumte Cosca ein. »Jetzt aber. Willst du geben, oder soll ich?«
Freundlich knurrte, als er sich allmählich aus den Trümmern hervorarbeitete. Espe lag ein paar Schritt entfernt auf der anderen Seite des kleinen Bergs aus gesplittertem Holz und Elfenbein, zerbeultem Messing und verwickelten Drähten – den einzigen Überresten von Herzog Orsos Cembalo. Der Nordmann rollte sich auf die Knie, den Schild immer noch über dem Arm, die Axt immer noch in der Faust, und Blut lief ihm aus einem Schnitt, der direkt über seinem Metallauge lag, seitlich über das Gesicht.
»Du zahlenbesessener Wichser! Ich hätte ja fast gesagt, ich habe keine Händel mit dir. Aber das hat sich jetzt geändert.«
Sie erhoben sich gleichzeitig und beobachteten sich wachsam. Freundlich ließ sein Messer aus der Scheide gleiten, zog das Beil aus der Jacke, und die abgenutzten Griffe lagen glatt und vertraut in seinen Handflächen. Jetzt konnte er das Durcheinander unten im Garten, den ganzen Irrsinn im Palast vergessen. Mann gegen Mann, genau wie es früher auch gewesen war, in der Sicherheit. Die
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