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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Gurkhul muss man so beten, wie der Prophet es vorschreibt. Hier kann jeder Mann anbeten, was ihm gefällt.«
    »Sie beten?«
    Murcatto zuckte die Achseln. »Sie versuchen wohl eher, alle anderen davon zu überzeugen, dass sie den besten Weg kennen.«
    Die Leute hielten an und sahen den Männern zu. Manche nickten beifällig. Andere schüttelten die Köpfe, lachten, brüllten sogar zurück. Wieder andere standen einfach gelangweilt da. Einer der heiligen Männer – oder der Verrückten – schrie Espe an, als der an ihm vorüberritt, aber der Nordmann konnte den Worten keinerlei Sinn entlocken. Der heilige Mann kniete, streckte die Arme aus, die Perlen um seinen Hals rasselten, und die Stimme war vom vielen Rufen rau. Espe sah es in seinen rot geränderten Augen – der Kerl war überzeugt davon, dass dies das Wichtigste war, was er je in seinem Leben tun würde.
    »Muss ein schönes Gefühl sein«, überlegte Espe.
    »Was denn?«
    »Zu denken, dass man alle Antworten kennt …« Er verstummte, als eine Frau an ihm vorüberging, die einen Mann an einer Leine führte. Einen großen, dunklen Mann mit einem Halsband aus schimmerndem Metall, der einen Sack in jeder Hand trug und die Augen auf den Boden gerichtet hielt. »Hast du das gesehen?«
    »Im Süden besitzen die meisten Menschen andere oder gehören zu irgendeinem Besitz.«
    »Das ist ja ein abartiger Brauch«, brummte Espe. »Ich dachte, du hättest gesagt, diese Stadt gehört zur Union.«
    »Und drüben in der Union lieben sie ihre Freiheit, nicht wahr? Man kann einen Menschen dort nicht zum Sklaven machen.« Sie nickte zu einigen weiteren hinüber, die unterwürfig und bescheiden in einer Reihe an ihnen vorübergeführt wurden. »Aber es befreit sie auch niemand, das kann ich dir verraten.«
    »Verdammte Unionisten. Diese Ärsche wollen doch nur immer mehr Land. Es sind jetzt noch mehr von ihnen im Norden als früher. In Uffrith wimmelt es vor ihnen, seit der Krieg wieder ausbrach. Und wozu brauchen sie noch mehr Land? Du solltest die Stadt sehen, die sie jetzt schon haben. Daneben ist diese hier das reinste Dorf.«
    Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. »Adua?«
    »Genau die meine ich.«
    »Du bist dort gewesen?«
    »Joh. Ich hab dort gegen die Gurkhisen gekämpft. Hat mir dieses Zeichen eingetragen.« Damit zog er seinen Ärmel zurück und offenbarte die Narbe an seinem Handgelenk. Als er Murcatto wieder ansah, stand ein seltsamer Ausdruck in ihrem Gesicht. Man hätte es beinahe Respekt nennen können. Ihm gefiel das. Es war schon eine Weile her, dass andere Leute ihm mit etwas anderem als mit Verachtung begegnet waren.
    »Hast du im Schatten des Hauses des Schöpfers gestanden?«, fragte sie.
    »Der größte Teil der Stadt liegt zu irgendeiner Tageszeit im Schatten von diesem Ding.«
    »Wie war es?«
    »Dunkler als anderswo. So ist das mit Schatten, nach meiner Erfahrung.«
    »Hm.« Es war das erste Mal, dass Espe etwas in ihren Zügen entdeckte, das an ein Lächeln erinnerte, und er fand, dass es ihr gut stand. »Ich habe immer gesagt, dass ich mal hinfahren würde.«
    »Nach Adua? Was hindert dich daran?«
    »Sechs Männer, die ich töten muss.«
    Espe blies die Wangen auf. »Ach ja. Das.« Besorgnis wallte in ihm auf, und er fragte sich erneut, wieso er jemals Ja gesagt hatte. »Ich war mir immer schon selbst der schlimmste Feind«, brummte er.
    »Dann bleib bei mir.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Auf die Art wirst du schon bald schlimmere haben. Wir sind da.«
    Ihr Ziel wirkte nicht besonders vertrauenerweckend. Ein enges Gässchen, düster wie die Dämmerung. Verfallende Gebäude drängten sich aneinander, mit verrottenden, abblätternden Fensterläden und Mauern, deren Putz von den feuchten Ziegeln bröckelte. Er lenkte sein Pferd hinter dem Wagen her und durchquerte einen düsteren Durchgang, während Murcatto die quietschenden Tore hinter ihnen schloss und den verrosteten Riegel vorschob. Espe band sein Pferd in dem von Unkraut und herabgefallenen Ziegeln bedeckten Innenhof an einen fauligen Pfosten.
    »Das ist ja der reinste Palast«, brummte er, als er zu dem Viereck grauen Himmels emporsah. Die Mauern, die es umgaben, waren mit vertrockneten Kletterpflanzen überwuchert, und die Fensterläden hingen schief in ihren Angeln. »Mal gewesen.«
    »Ich habe es wegen seiner Lage ausgewählt«, erklärte Murcatto, »nicht wegen der Ausstattung.«
    Sie durchquerten einen düsteren Flur, von dem leere Türfüllungen abzweigten, die in leere Räume

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