Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
führten. »Eine Menge Zimmer«, bemerkte Espe.
    Freundlich nickte. »Zweiundzwanzig.«
    Ihre Stiefel schlugen dumpf auf die knarrende Treppe, als sie sich ins verwohnte Innere des Gebäudes vortasteten.
    »Wie werden Sie es anfangen?«, fragte Murcatto Morveer.
    »Ich habe schon angefangen. Die ersten Einführungsschreiben wurden bereits versandt. Wir haben eine
beträchtliche
Einzahlung, die wir morgen früh Valint und Balk anvertrauen wollen. So
beträchtlich
, dass sie die Anwesenheit des obersten Bankbeamten erfordert. Ich, meine Assistentin und Ihr Leibwächter werden uns in die Bank hineinschleichen, verkleidet als Kaufmann mit seinen Gehilfen. Wir werden uns mit Mauthis treffen … und dann eine Möglichkeit suchen, ihn zu töten.«
    »So einfach?«
    »Öfter, als man glaubt, liegt der Schlüssel zu solchen Dingen tatsächlich darin, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, sobald sie sich bietet. Aber wenn sich ein solcher Augenblick nicht ergibt, dann werde ich die Grundlagen für unser weiteres … stärker strukturiertes Vorgehen schaffen.«
    »Was ist mit uns anderen?«, fragte Espe.
    »Unsere Dienstherrin besitzt offensichtlich ein auffälliges Gesicht und würde sicherlich leicht wiedererkannt werden. Und
du
«, erklärte Morveer, der abfällig von der Treppe zu ihm heruntersah, »fällst auf wie eine Kuh unter Wölfen und wärst ungefähr genauso nützlich. Du bist viel zu groß und viel zu vernarbt, und deine Kleidung ist zu bäuerlich, als dass du in eine Bank gehörtest. Und was die Haare angeht …«
    »Pfiiiiesch«, sagte Day und schüttelte den Kopf.
    »Was soll das denn heißen?«
    »Genau das, wonach es sich anhört. Du bist einfach viel, viel zu sehr …« Morveer machte eine vage Handbewegung.
»Nordmann.«
    Murcatto schloss eine abblätternde Tür oberhalb der obersten Treppe auf und öffnete sie mit einem Ruck. Trübes Tageslicht leckte herein, und Espe folgte den anderen blinzelnd in die Sonne.
    »Bei den Toten.« Ein Durcheinander aus wild zusammengewürfelten Dächern aller Formen und Neigungswinkel erstreckte sich um sie herum – rote Ziegel, weißes Blei, verrottendes Reet, nackte Dachbalken, die schon mit Moos überwachsen waren, grünes Kupfer mit Dreckstreifen, geflickt mit Leinen und altem Leder. Ein Gewirr aus schiefen Giebeln, Dachstuben, Balken, von denen Unkraut spross, herunterhängenden Dachrinnen und gebogenen Rohren, mit Ketten und durchhängenden Wäscheleinen umwickelt, in jedem Winkel umeinander- und übereinandergebaut, dass es aussah, als ob das ganze Gebilde jeden Augenblick auf die Straße rutschen würde. Rauch quoll aus den zahllosen Schornsteinen und wob einen Dunst, der die Sonne in einen schwitzigen, verschwommenen Fleck verwandelte. Hier und da bohrte sich ein Turm aus dem Chaos, oder eine Kuppel wölbte sich empor, manchmal auch ein Stückchen bloßes Holz, wenn ein paar Bäume den Kampf gegen die Umstände gewonnen und es geschafft hatten, ein paar Äste auszubilden. Das Meer war als grauer Fleck in der Ferne zu sehen, die Masten der Schiffe im Hafen bildeten einen entlegenen Wald, der sich unruhig auf den Wellen schaukelte.
    Hier oben schien es, als stieße die Stadt ein lautes Zischen aus. Die Geräusche von Arbeit und Spiel, von Menschen und Tieren, die Rufe der Verkäufer und Käufer, ratternde Räder und klopfende Hämmer, Bruchstücke von Liedern und von Musik, Freude und Verzweiflung vermischten sich wie Eintopf in einem großen Kessel.
    Espe drängte sich neben Murcatto an die flechtenüberwachsene Balustrade und sah hinunter. Menschen bewegten sich weit unter ihnen auf einer gepflasterten Straße hin und her, sickerten dort entlang wie Wasser am Grund einer Schlucht. Ein Ungeheuer von Gebäude dräute auf der anderen Seite.
    Die Mauer war eine Klippe aus glattgeschliffenem, blassem Stein, und alle zwanzig Schritte erhob sich eine Säule, die Espe mit den Armen nicht hätte umfassen können und die ganz oben von gemeißelten Blättern und Gesichtern gekrönt wurde. Über der ersten Reihe schmaler Fenster, vielleicht von doppelter Manneshöhe, folgte eine weitere, während die Fenster des nächsten Stockwerks wesentlich größer waren, allesamt mit Metallgittern gesichert. Auf dem flachen Dach, das sich etwa auf einer Höhe mit dem Balkon befand, auf dem Espe stand, thronte eine Hecke aus schwarzen Eisendornen wie die Stacheln einer Distel.
    Morveer grinste zu dem Bau hinüber. »Meine Damen und Herren, liebe Wilde, ich präsentiere Ihnen die

Weitere Kostenlose Bücher