Racheklingen
unbeobachtete Augenblicke brauchen, um es Mauthis aufs Gesicht zu drücken. Ein kleiner Atemzug reichte, und der Mann würde sich binnen kurzem blutig zu Tode husten. Aber der Schreiber mühte sich zwischen ihnen mit der Geldtruhe ab, und es bot sich nicht die geringste Gelegenheit. Morveer musste das tödliche Tuch schließlich wieder wegstecken, und er kniff die Augen zusammen, als sie in einen langen Flur abbogen, der mit riesengroßen Bildern behängt war. Licht fiel von oben hinein, direkt durch das hoch über ihnen liegende Dach, das aus vielen hunderttausend rautenförmigen Glasscheiben zusammengefügt worden war.
»Eine gläserne Decke!« Morveer drehte sich langsam um die eigene Achse, den Kopf in den Nacken gelegt. »Ein wahres Wunder der Architektur!«
»Dies ist ein ganz und gar modernes Gebäude. Ihr Geld könnte nirgendwo besser aufgehoben sein, das versichere ich Ihnen.«
»Nicht einmal in den Tiefen des verfallenen Aulcus«, witzelte Morveer, als sie an einer übertrieben dramatischen Darstellung der alten Stadt vorbeikamen.
»Nicht einmal dort.«
»Und da wäre es sicherlich entschieden schwieriger, etwas vom Konto abzuheben, könnte ich mir vorstellen! Haha. Haha.«
»In der Tat.« Der Bankier zeigte nicht einmal den Anflug eines Lächelns. »Die Tür zu unserer Schatzkammer ist aus solidem Unionsstahl, einen Fuß dick. Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, dass dies der sicherste Ort im ganzen Weltenkreis ist. Hier entlang bitte.«
Morveer wurde in einen großzügigen Raum geführt, der mit bedrückend dunklem Holz vertäfelt war, prunkvoll und gleichzeitig ungemütlich, und der von einem Schreibtisch beherrscht wurde, der so groß war wie das Haus eines armen Mannes. Ein düsteres Ölgemälde hing über einem ausufernden Kamin: Ein untersetzter, kahler Mann sah von dem Bild herunter, als vermute er, dass Morveer etwas Böses im Schilde fühlte. Irgendein unionistischer Bürokrat aus vergangener Zeit, vermutete der Giftmischer, vielleicht Zoller oder Bialoveld.
Mauthis setzte sich auf einen hohen, harten Stuhl, und Morveer fand ihm gegenüber einen Platz, während der Schreiber den Deckel der Schatulle öffnete und das Geld zu zählen begann, wobei er mit geübten, knappen Griffen einen Münzsortierer zu Hilfe nahm. Mauthis sah ihm zu und blinzelte kaum dabei. Niemals berührte er selbst die Kiste oder die Münzen. Ein vorsichtiger Mann. Verdammt enervierend vorsichtig. Seine Augen glitten langsam über den Schreibtisch.
»Wein?«
Morveer hob eine Augenbraue und blickte zu den Gläsern, die leicht verzerrt hinter den Fenstern einer hohen Vitrine standen. »Besten Dank, aber nein. Ich werde unter dem Einfluss von Wein leicht erregt, und unter uns gesagt, es haben sich daraus durchaus schon peinliche Situationen ergeben. Letztlich habe ich beschlossen, mich ganz und gar in Enthaltsamkeit zu üben und mich darauf zu beschränken, dieses Getränk anderen zu verkaufen. Das Zeug ist …
Gift
.« Er lächelte breit. »Aber lassen Sie sich von mir nicht abhalten.« Unauffällig glitt seine Hand in die verborgene Tasche seiner Jacke, in der eine Phiole mit Sternensaft schlummerte. Es würde nur wenig Mühe bereiten, für eine kleine Ablenkung zu sorgen und einige Tropfen in Mauthis’ Glas fallen zu lassen, während er …
»Auch ich meide Wein.«
»Ah.« Morveer ließ die Phiole wieder los und zog stattdessen ein gefaltetes Papier aus seiner Innentasche, als sei das die ganze Zeit über seine Absicht gewesen. Er zog es auseinander und tat so, als lese er es, während seine Augen das ganze Büro absuchten. »Ich zählte fünftausend …« Er merkte sich den Stil des Türschlosses, die Machart seiner Konstruktion, den Rahmen, in dem es angebracht war. »… zweihundert …« Die Fliesen, aus denen der Boden bestand, die Wandpaneele, die Deckenverkleidung, das Leder von Mauthis’ Stuhl, die Kohlen im nicht angezündeten Kamin. »… und zwölf Waag.« Nichts wirkte besonders vielversprechend.
Mauthis zeigte angesichts dieser Zahl keinerlei Regung. Großer Reichtum und kleine Summen, für ihn war das alles gleich. Er öffnete den schweren Deckel eines großen Folianten auf seinem Schreibtisch. Dann benetzte er mit der Zunge einen Finger und blätterte gemächlich durch die knisternden Seiten. Morveer spürte, wie sich bei dem Anblick warme Befriedigung von seinem Magen bis in alle anderen Körperteile ausbreitete, und nur mit Mühe konnte er einen triumphierenden Jubelschrei unterdrücken. Er
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