Racheklingen
bitte.« Der Barbier zückte mit großer Geste seine Schere, und Espe federte sofort wieder hoch.
»Glaubst du etwa, dass ich einen Mann mit einer Klinge an mein Gesicht lasse?«
»Ich muss doch sehr bitten! Ich stutze die Köpfe der besten Gesellschaft von Westport!«
»Sie.« Monza packte den zurückweichenden Barbier an der Schulter und schob ihn wieder zu seinem störrischen Kunden. »Klappe halten und Haare schneiden.« Sie steckte einen weiteren Viertelwaag in seine Schürzentasche und warf Espe einen strengen Blick zu. »Und du, Klappe halten und stillsitzen.«
Widerstrebend ließ er sich gegen die Stuhllehne sinken und hielt sich so krampfhaft an der Lehne fest, dass die Sehnen auf seinen Handrücken hervortraten. »Ich hab dich genau im Blick«, drohte er.
Der Barbier stieß einen langen Seufzer aus und ging mit geschürzten Lippen an die Arbeit.
Monza schlenderte durch den Raum, während hinter ihr die Scherenblätter schnippten. Sie bummelte an einem Regal vorbei, zog gedankenverloren die Stopfen aus den farbigen Fläschchen und schnupperte an den Duftölen darin. Dann erhaschte sie einen kurzen Blick auf ihr Spiegelbild. Immer noch ein hartes Gesicht. Dünner, hagerer, sogar noch schärfer, als es früher zu sein pflegte. Die Augen eingesunken wegen des nagenden Schmerzes in ihren Beinen und wegen des nagenden Verlangens nach der Spreupfeife, die diesen Schmerz verschwinden ließ.
Du siehst heute Morgen besonders bezaubernd aus, Monza …
Der Gedanke an eine Pfeife war in ihrem Kopf hängen geblieben wie ein Knochensplitter in ihrem Schlund. Jeden Tag packte sie das Verlangen früher. Immer länger wurde die Zeit, in der ihr übel war, in der sie sich wund und unruhig fühlte und die Minuten zählte, bis sie davonschleichen und die Pfeife hervorziehen konnte, um dann in das weiche, warme Nichts zu versinken. Ihre Fingerspitzen kribbelten bei dem Gedanken, und ihre Zunge fuhr hungrig in ihrem trockenen Mund herum.
»Hab sie immer lang getragen. Immer.« Sie drehte sich wieder um. Espe wand sich wie ein Folteropfer, als dicke Büschel seines Haars zu Boden fielen und rund um den Stuhl kleine Häufchen auf den polierten Dielenbrettern bildeten. Manche Männer werden still, wenn sie nervös sind. Andere fangen an zu quatschen. Offenbar gehörte Espe zu den Letzteren. »Ich meine, mein Bruder hatte lange Haare, und ich hab’s ihm dann nachgemacht. Hab immer versucht, so zu sein wie er. Hab zu ihm aufgesehen. Kleine Brüder, wie das eben immer so ist … Wie war dein Bruder so?«
Sie fühlte ein Zucken in ihrer Wange, als sie sich an Bennas Grinsen erinnerte, an sein Gesicht im Spiegel und ihres dahinter. »Er war ein guter Mann. Alle haben ihn geliebt.«
»Mein Bruder war auch ein guter Mann. Viel besser als ich. Jedenfalls hat mein Vater das gedacht. Hat keine Gelegenheit ausgelassen, es mir zu sagen … Ich mein ja bloß, da, wo ich herkomme, ist es nicht ungewöhnlich, lange Haare zu haben. Im Krieg gibt’s andere Dinge abzuschneiden als ausgerechnet Haare. Der Schwarze Dow hat immer über mich gelacht, weil er seine immer ganz kurzgestutzt hat, damit sie ihn beim Kämpfen nicht stören. Hatte ’nen harten Mund. War auch ’n harter Kerl. Härter war wohl nur noch der Blutige Neuner selber. Ich würde sagen …«
»Für jemanden, der diese Sprache noch nicht so richtig im Griff hat, redest du ziemlich gern, oder? Weißt du, was ich sagen würde?«
»Was denn?«
»Dass Leute viel reden, wenn sie nichts zu sagen haben.«
Espe stieß einen Seufzer aus. »Ich versuch ja bloß, das Morgen ein bisschen besser zu machen als das Heute, das ist alles. Ich bin einer von diesen … ihr habt doch ein Wort dafür, oder nicht?«
»Idioten?«
Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Ich dachte an was anderes.«
»Optimisten.«
»Genau, das ist es. Ich bin ein Optimist.«
»Und wie läuft’s so für dich?«
»Nicht so gut, aber ich geb die Hoffnung nicht auf.«
»So ist das mit Optimisten. Diese Spinner kapieren es einfach nicht.« Sie sah zu, wie Espes Gesicht allmählich unter dem Gestrüpp fettigen Haars auftauchte. Starke Knochen, scharf geschnittene Nase, eine Augenbraue von einer kleinen Narbe durchzogen. Es war ein gutes Gesicht, wenn man sich ein bisschen damit beschäftigte. Und sie stellte fest, dass es sie mehr beschäftigte, als sie gedacht hatte. »Du warst Soldat, nicht wahr? Wie heißt das noch im Norden – ein Carl?«
»Ich war ein Namhafter Mann, das ist wahr«, sagte er, und sie
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