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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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beieinander an der Brüstung und sahen zu dem dunklen Umriss der Bank hinüber. Aus irgendeinem Grund war er nervös. Sogar noch mehr, als vor einem Mord zu erwarten gewesen wäre. Er warf ihr einen Seitenblick zu, verpasste es dann aber, den Kopf schnell genug abzuwenden, bevor sie den Blick erwiderte.
    »Wir können wohl nicht viel mehr tun, als hier zu warten und kalt zu werden«, sagte sie.
    »Nicht viel, nein. Es sei denn, du willst mir die Haare vielleicht noch etwas kürzer schneiden.«
    »Ich hätte viel zu viel Angst, die Schere rauszuholen, falls du dich dann wieder ausziehen willst.«
    Das reizte ihn zum Lachen. »Sehr schön. Damit hast du dir noch einen Schluck verdient.« Wieder zog er die Flasche hervor.
    »Für eine Frau, die gedungene Mörder beschäftigt, habe ich recht viel Humor.« Sie kam noch etwas näher, als sie ihm die Flasche abnahm. So nahe, dass er plötzlich den eigenen Atem in der Kehle spürte, wie er auf einmal schneller ging. Er sah weg, da er sich nicht noch mehr zum Narren machen wollte, als ihm das in den letzten Wochen ohnehin schon geglückt war. Er hörte, wie sie die Flasche ansetzte, wie sie trank. »Vielen Dank noch mal.«
    »Keine Ursache. Wenn ich sonst noch was tun kann, großer Häuptling, dann sag Bescheid.«
    Als er sich wieder umwandte, sah sie ihn an, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, die Augen direkt auf ihn gerichtet, wie es so ihre Art war, als ob sie gerade herausfinden wollte, wie viel er taugte. »Da gäbe es schon noch eine Sache.«
     
    Morveer drückte die letzten Bleiumrandungen mit vollendeter Sorgfalt wieder fest und verstaute seine Glaserwerkzeuge.
    »Wird das genügen?«, fragte Day.
    »Ich bezweifle, dass es einem Gewittersturm standhält, aber bis morgen wird es reichen. Und dann, vermute ich, werden sie
bedeutend
größere Sorgen haben als ein leckendes Fenster.« Er fegte die letzten Kittkrümel vom Glas, und dann folgte er seiner Gehilfin über das Dach zu den Zinnen. Freundlich hatte sich bereits wieder am Seil hinübergehangelt und bildete nun einen gedrungenen Schatten auf der anderen Seite des Abgrunds aus leerer Luft. Morveer beugte sich über die Brüstung. Unter den Dornen und den in Stein gehauenen Verzierungen fiel der glatte Pfeiler bis zum Straßenpflaster steil und schwindelerregend ab. Eine der Wächtergruppen trampelte wieder einmal vorüber, und die Lampen schwankten auf und nieder.
    »Was ist mit dem Seil?«, zischte Day, als sie außer Hörweite waren. »Wenn die Sonne aufgeht, wird jemand merken, dass …«
    »Ich habe jede Einzelheit bedacht.« Morveer grinste, als er eine kleine Phiole aus seiner Innentasche hervorzog. »Ein paar Tropfen davon werden sich in gewisser Zeit, nachdem wir hinübergeklettert sind, durch den Knoten brennen. Wir müssen auf der anderen Seite nur warten, dann können wir das Seil einholen.«
    Soweit man das in der Dunkelheit feststellen konnte, schien seine Gehilfin nicht besonders überzeugt. »Was, wenn es schneller durchbrennt als …«
    »Das wird es nicht.«
    »Klingt aber doch nach einem gewissen Risiko.«
    »Was gehe ich niemals ein, meine Liebe?«
    »Risiken. Aber …«
    »Dann geh du um Himmels willen zuerst.«
    »Darauf können Sie sich verlassen.« Day klammerte sich schnell an das Seil und kletterte hinüber, geschickt eine Hand über die andere setzend. Sie brauchte nicht länger, als man von eins bis dreißig zählen konnte, um auf der anderen Seite anzukommen.
    Morveer entkorkte die kleine Flasche und ließ einige Tropfen auf die Knoten fallen. Nach kurzem Nachdenken brachte er noch ein paar weitere Tropfen auf. Er hatte keine Lust, bis Sonnenaufgang zu warten, bis das verdammte Ding endlich in Stücke fiel. Er passte die nächste Patrouille ab, dann schwang er sich über die Brustwehr, wie er zugeben musste, weitaus weniger elegant als seine Gehilfin. Aber es bestand schließlich auch kein Grund zur Eile. Vorsicht stand immer an erster Stelle. Er packte das Seil mit den behandschuhten Händen, hielt sich daran fest, schob einen Schuh über die Brustwehr, dann hob er den anderen …
    Ein lautes Knacken war zu hören, und dann fasste ihm der Wind plötzlich kalt ans Knie.
    Morveer schielte nach unten. Sein Hosenbein hatte sich an einem Dorn verfangen, der weit über die anderen nach oben ragte, und war ein gutes Stück den Schenkel hinauf aufgerissen. Er schlug mit dem Bein, versuchte sich loszumachen, verhedderte sich aber nur noch mehr.
    »Verdammt.« Das war ganz klar

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