Racheklingen
scheußlichen Ruck, der ihm die Luft aus den Lungen trieb, seinen Schrei unterbrach und ihm das Seil aus den Händen riss.
Es folgte ein Krachen und das Splittern von Holz. Er stürzte, versuchte die Luft zu greifen, und sein Kopf war wie ein kochender Kessel voll Verzweiflung, während die blinden Augen aus den Höhlen traten. Er fiel, schlug mit den Armen, trat mit den Beinen, die Welt drehte sich um ihn, Wind fuhr ihm ins Gesicht. Er fiel, er fiel … aber nur ein oder zwei Schritt. Seine Wange prallte auf einen Dielenboden, und Holzstückchen prasselten neben ihm nieder.
»Hä?«, murmelte er.
Voller Entsetzen spürte er, wie er am Hals gepackt, durch die Luft geschleudert und mit so viel Kraft gegen eine Wand gedrückt wurde, dass er beinahe die Gewalt über seine Gedärme verloren hätte. Zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit wurde ihm in einem langen Keuchen die Luft aus den Lungen gedrückt.
»Du! Was, zur Hölle, soll denn das?« Espe. Der Nordmann war aus Gründen, die sich Morveer noch nicht erschlossen, völlig nackt. Der schmuddelige Raum hinter ihm wurde von einigen Kohlen erhellt, die man auf einem Rost aufgeschichtet hatte. Morveers Augen glitten zu einem Bett hinüber. Murcatto lag darin, auf die Ellenbogen gestützt, das zerknitterte Hemd weit offen, die Brüste flach an den Rippen liegend. Ihr Blick sprach höchstens von milder Überraschung, als habe sie die Haustür geöffnet und dort einen Besucher entdeckt, den sie erst später erwartet hatte.
Morveers Verstand zog die nötigen Schlüsse. Trotz seiner peinlichen Lage und der Auswirkungen der Todesangst, die sein Herz noch immer wild klopfen ließ, trotz der brennenden Kratzer im Gesicht und auf den Händen begann er zu kichern. Das Seil war vorzeitig gerissen, und durch einen verrückten, aber ganz und gar glücklichen Zufall war er in einem perfekten Bogen hinabgeschwungen und direkt durch die brüchigen Läden eines der Fenster in dem Abbruchhaus gekracht. Der Aberwitz dieser Geschehnisse hatte durchaus etwas für sich.
»Offenbar gibt es doch so etwas wie einen glücklichen Zufall!«, gackerte er.
Murcatto blinzelte zu ihm hinüber und hatte offenbar Schwierigkeiten, ihn mit geradem Blick ins Auge zu fassen. Wie er feststellte, wies ihr Körper eine Reihe interessanter Narben auf, die auf einer Seite den Rippenbogen folgten.
»Wieso rauchen Sie?«, krächzte sie.
Morveers Augen glitten zu der Spreupfeife auf den Brettern neben dem Bett, die auch die passende Erklärung dafür bot, weswegen sie von seinem unorthodoxen Eintreten in ihr Gemach so wenig überrascht gewesen war. »Sie sind verwirrt, aber das ist leicht zu erklären. Wenn ich recht sehe, dann haben vielmehr
Sie
geraucht. Dieses Zeug ist wahres
Gift
, glauben Sie mir. Wahres …«
Sie streckte den Arm aus und deutete mit einem matten Finger auf seine Brust. »Da raucht’s, Idiot.« Er sah an sich herunter. Einige beißende Rauchfäden ringelten sich von seinem Hemd.
»Verdammt!«, kreischte er, und Espe trat erschrocken zurück und ließ ihn fallen. Morveer riss sich die Jacke herunter, und kleine Splitter des zerbrochenen Säurefläschchens fielen auf die Dielen. Er kämpfte mit seinem Hemd, das an der Brust inzwischen Blasen warf, riss es auf und schleuderte es zu Boden. Dort lag es, qualmte deutlich und füllte den schmuddeligen Raum mit ekligem Gestank. Sie starrten das Kleidungsstück an, alle drei durch eine Wendung des Schicksals, die keiner von ihnen vorhergesehen hatte, inzwischen mindestens zur Hälfte nackt.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.« Morveer räusperte sich. »Das war ganz offensichtlich nicht so vorgesehen.«
RÜCKZAHLUNG
Monza sah mit gerunzelter Stirn zum Bett hinüber, und ihr finsterer Blick galt Espe, der darin lag. Er hatte sich auf dem Rücken ausgestreckt und die Decke unordentlich über seinem Bauch zusammengeschoben. Ein großer, langer Arm hing vom Rand der Matratze, und die weiße Hand lag schlaff auf den Dielen. Ein großer Fuß ragte unter der Decke hervor, mit Dreckrändern unter den Nägeln. Sein Gesicht war friedlich wie das eines Kindes, die Augen geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Seine Brust und die Narbe darüber hoben und senkten sich mit seinen Atemzügen.
Bei Tageslicht erschien es nun ein schwerer Fehler.
Sie warf Espe die Münzen zu, und sie fielen klappernd auf seine Brust und verteilten sich im Bett. Mit einem Ruck erwachte er und sah sich blinzelnd um.
»Wasn?« Verschlafen betrachtete er das
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